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Der Engelmacher

Der Engelmacher

Titel: Der Engelmacher
Autoren: Stefan Brijs
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Klarissen. Wie sollte er auch? Er war noch keine fünf Jahre alt gewesen, als sein Vater ihn dort weggeholt hatte. Trotzdem haben die dort verbrachten Jahre offenbar einen Nutzen gehabt, dachte der Priester. Schließlich ist das Böse doch noch von ihm gewichen. Es hat lange gedauert, aber schließlich ist es doch dazu gekommen.
     
    Und sie werden mich ansehen, welchen sie zerstochen haben.
    Victor hielt die Wunde schon tagelang offen. Immer wenn sich ein Schorf bildete, kratzte er ihn weg und steckte erst einen, dann zwei und schließlich drei Finger bis zum zweiten Glied in den aufklaffenden Schnitt.
    Zunächst hatte er es selbst kaum glauben können. Aber er hatte die Wunde in seiner Seite gesehen und gespürt. Sie war echt.
    Dadurch war wieder etwas in Gang gekommen.
    Kurz nachdem er das Böse erfolgreich bekämpft hatte.
    Erst Samstagabend hatten Lothar und Vera Weber den erlösenden Anruf erhalten: »Ich erwarte Sie morgen früh um neun Uhr.«
    »Hat es geklappt?«, hatte Lothar enthusiastisch gefragt.
    »Ja, es hat geklappt. Ich habe drei Embryos.«
    »Drei? Sind das nicht zu viele?«
    »Man weiß nicht, ob sie sich alle weiterentwickeln. Das muss man mit einkalkulieren.«
    »Ach so. Ich verstehe.«
    Dann hatte er noch gefragt, wie lange es dauern würde und ob seine Frau sich danach ausruhen müsse, denn sie würden an jenem Nachmittag gern an der Wallfahrt nach La Chapelle teilnehmen. Er dürfe dieses Jahr sogar die Fahne der Kirchengemeinde tragen. Der Doktor hatte gesagt, es ginge ganz schnell. Es sei ein leichter Eingriff. Vera würde nichts spüren und auch hinterher keine Beschwerden haben.
    An jenem Abend hatten sie bei dem Porträt ihres Sohnes Gunther eine Kerze angezündet.
    Am nächsten Morgen um fünf vor neun klingelten sie am Tor des Doktors. Es war Sonntag, der 21. Mai 1989. Ein besonderer Tag. Beide waren sie nervös und müde. Es war in jener Nacht drückend warm gewesen im Schlafzimmer, weshalb sie beide noch schwerer als sonst eingeschlafen waren. In der letzten Zeit war es tagsüber immer sehr heiß geworden, und die Hitze hatte sich im Haus festgesetzt. Auch jener Sonntag würde noch ein sommerlicher Tag werden, aber danach sollte es vorbei sein mit dem schönen Wetter, so die Vorhersage.
    Vera fühlte sich unsicher, als sie klingelten. Hätten sie sich nicht doch in den Willen Gottes ergeben sollen? Setzte sie jetzt nicht ihre Gesundheit aufs Spiel? Und die ihres zukünftigen Kindes? In den letzten Tagen waren ihr solche Gedanken immer öfter durch den Kopf gegangen. Natürlich spielten die Nerven eine große Rolle. Das war ihr schon klar. Aber ihr war auch klar, dass sie jetzt noch zurück konnte. Vielleicht sollten sie lieber noch warten. Einen Monat oder so. Bis sie sicher wären, dass alles gut ausgehen würde.
    »Lothar …«, setzte sie an. Aber im selben Augenblick sah sie den Doktor zum Tor kommen. »Nichts. Lass mal. Gleich«, sagte sie schnell.
    Doktor Hoppe sah blass aus. Er sah zwar sonst auch blass aus, aber diesmal sah er noch blasser aus. Bleich. Kreidebleich.
    »Ist alles in Ordnung, Herr Doktor?«, fragte Lothar, kaum dass sie drinnen waren.
    »Ja«, antwortete er, aber es klang nicht sonderlich überzeugend, fand Lothar. Wahrscheinlich war er selbst nervös. Für ihn war es natürlich auch kein alltäglicher Eingriff.
    »Ich habe die gute Neuigkeit über Ihre Kinder gehört«, sagte Lothar, um das Eis zu brechen. Er verscheuchte eine Fliege, die um seinen Kopf schwirrte.
    Der Doktor nickte.
    »Es wurde Zeit«, sagte er. »Gott hat lange gewartet. Sie waren nur noch Haut und Knochen. Wenn Sie möchten, hole ich sie kurz. Dann können Sie es mit eigenen Augen sehen.«
    Lothar schüttelte den Kopf.
    »Vielleicht ein andermal. Wir lassen sie nun wohl besser in Ruhe.«
    Er hatte zwar Verständnis für die Erleichterung des Doktors, nachdem nun das schlimmste Leid überstanden war, und auch dafür, dass er das gern allen zeigen wollte. Aber vor allem war ihm jetzt danach, den Eingriff möglichst schnell hinter sich zu bringen. Außerdem hatte seine Frau sich schon halb ausgezogen.
    »Das Böse ist nun jedenfalls erfolgreich bekämpft worden«, sagte Doktor Hoppe. »Der Auftrag ist vollbracht.«
    Lothar nickte. Es beruhigte ihn, dass der Doktor offenbar Halt im Glauben gesucht und gefunden hatte. Gott steht ihm bei, dachte er, vielleicht ist er also auch uns wohlgesinnt.
    »Da bin ich sehr froh für Sie«, sagte er aufrichtig.
    Er sah, wie der Doktor eine Hand an seine Seite
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