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Der Engelmacher

Der Engelmacher

Titel: Der Engelmacher
Autoren: Stefan Brijs
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presste. Sein weißer Doktorkittel wies an der Stelle bräunliche Flecken auf, und eine Fliege kroch darüber. Eine weitere hatte sich gerade auf der Hand des Doktors niedergelassen. Plötzlich fiel Lothar auf, dass sich tatsächlich sehr viele Fliegen im Raum befanden. Es hing auch ein seltsamer Geruch in der Luft, den er hier noch nie gerochen hatte und den er nicht richtig einordnen konnte.
    Seine Frau hatte wieder auf dem Tisch Platz genommen und die Beine auf die dafür vorgesehenen Stützen gelegt. Mit den Augen verfolgte Lothar die Bewegungen des Doktors, der sich etwas abseits an einem kleinen Tisch über ein Mikroskop beugte, unter das er eine kleine Schale schob.
    Dort liegt das Leben, dachte Lothar, das er gleich bei meiner Frau einbringt.
    Die unbefleckte Empfängnis.
    Er hörte es Jacques Meekers noch rufen, jenes eine Mal im »Terminus«.
    Kurz darauf stand Doktor Hoppe auf und ging mit einem Apparat, der größtenteils aus einem langen, schmalen Stück Eisen bestand, zu Vera hinüber.
    »Herr Doktor?«, hörte Lothar seine Frau plötzlich mit banger Stimme sagen. Mit gerunzelten Brauen sah er sie an. Sie lag auf dem Rücken, den Kopf auf ein Kissen gebettet, und starrte an die Decke. Wieder erhob sie die Stimme: »Herr Doktor, können wir es nicht noch einmal verschieben? Auf nächsten Monat oder so?«
    Lothar war überrascht. Warum fragte sie das? Hatte sie plötzlich Angst bekommen? Mit großen Augen sah er den Doktor an, der prompt reagierte.
    »Nein, das geht nicht. Das geht nicht. Es muss jetzt geschehen.«
    »Aber ist denn auch wirklich alles in Ordnung? Ich habe solche Angst, dass es schiefgeht.«
    »Sie brauchen keine Angst zu haben«, sagte der Doktor. »Ich habe Gutes mit Ihnen vor. Und Sie selbst sind gebenedeit.«
    Lothar begriff nicht, was der Doktor meinte, aber seine Frau ging nicht darauf ein. Sie wollte etwas anderes wissen. Sie hob den Kopf.
    »Aber das Kind, Herr Doktor? Wird der Junge gesund sein?«
    »Er wird gesund sein, Frau Weber. Er wird ganz sicher gesund sein.«
    »Also nicht … nicht taub?«
    »Nein, er wird nicht taub sein.«
    Lothar hörte seine Frau erleichtert seufzen. Ihr Kopf sank auf das Kissen zurück. Ihm selbst brannten zwar noch einige Fragen unter den Nägeln, aber er hielt es für besser zu schweigen. Seine Frau war nun beruhigt, und der Doktor wartete nur darauf, dass er mit dem Eingriff beginnen konnte. Eigentlich hätte er noch gern gewusst, was wäre, wenn zwei oder drei Embryos sich zu Babys weiterentwickeln würden. Würden sie einander dann ähnlich sehen? Würden sie alle hören können? Und was, wenn seine Frau doch nicht schwanger würde? Würde der Doktor dann einen neuen Versuch wagen? Und würden sie das ihrerseits dann überhaupt noch wollen? Darüber hatte er mit seiner Frau noch gar nicht gesprochen. Vielleicht sollten sie sich dann doch besser in Gottes Willen ergeben.
    »Das war’s«, hörte er die Stimme Doktor Hoppes. Der Doktor lehnte sich zurück und presste wieder die Hand auf seine Seite.
    »Ist es jetzt schon passiert?«, fragte Lothar.
    »Ja, es ist passiert«, sagte der Doktor, aber in seiner Stimme schwang wenig Enthusiasmus mit, als hätte er nur seine Pflicht getan. Vielleicht musste er sich auch erst daran gewöhnen, dass jetzt schon alles vorbei war, zumindest für ihn. Er hatte seinen Teil getan. Alles Weitere war jetzt an Vera.
    Lothar Weber sah zu, wie seine Frau sich langsam aufrichtete. In ihrem Bauch wuchs nun Leben heran. Neues Leben. Er konnte es fast nicht glauben. Es rührte ihn. Damit hatte er nicht gerechnet. Unwillkürlich musste er kurz an Gunther denken und sich beherrschen, um nicht in Tränen auszubrechen.

10
    Als Rex Cremer sich dem Gipfel des Vaalserbergs näherte, stellte er zu seinem Erstaunen fest, dass der Baudouin-Turm verschwunden war. Er fuhr noch ein Stückchen weiter und brachte den Wagen dann zum Stillstand. Wo sich der Turm befunden hatte, war nun eine riesige, mit Sicherheitsgattern abgezäunte Baustelle. Ein tiefes Loch klaffte im Boden. In ihm erhoben sich massive Betonblöcke, aus denen lange Eisenstangen hervorragten. An der Abzäunung hing ein rechteckiges Schild mit einer Zeichnung und einer Beschriftung in vier Sprachen.
    »Hier entsteht der neue, fünfzig Meter hohe Baudouin-Turm«, las er. »Mit einem Aufzug gelangt der Besucher auf eine überdachte Plattform, die einen einzigartigen Panoramablick gewährt.«
    Auf der Zeichnung war eine hohe, schlanke Konstruktion zu sehen, um die eine
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