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Der Elefant verschwindet

Titel: Der Elefant verschwindet
Autoren: Haruki Murakami
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durchqueren unseren Garten und gehen rüber in den von Miyawakis.«
    Indem sie das sagte, zeigte sie auf den Garten des leerstehenden Hauses auf der anderen Seite. Dort breitete noch immer der steinerne Vogel seine Flügel aus, die Goldrute atmete die frühsommerlichen Sonnenstrahlen ein und die Taube auf der Fernsehantenne setzte ihr eintöniges Gurren fort.
    »Danke für die Auskunft«, sagte ich zu ihr.
    »Ich habe eine Idee. Warten Sie doch einfach hier in unserem Garten auf sie. Die Katzen kommen sowieso alle hier durch, und außerdem, wenn Sie hier in der Gegend herumstreunen, könnte Sie jemand für einen Dieb halten und die Polizei rufen. Ist schon öfters vorgekommen.«
    »Aber ich kann doch nicht einfach in fremder Leute Garten auf eine Katze warten.«
    »Natürlich können Sie das. Keine Zurückhaltung. Ich bin ganz allein zu Hause, und es ist furchtbar langweilig, wenn man sich nicht unterhalten kann. Wir können uns doch zusammen in die Sonne setzen und darauf warten, dass die Katze vorbeikommt. Ich habe gute Augen, das ist sehr nützlich.«
    Ich sah auf meine Uhr. Es war sechs nach halb drei. Ich brauchte heute nur noch die Wäsche abzunehmen, bevor es dunkel wurde, und das Abendessen vorzubereiten.
    »Also gut, ich bleibe bis drei«, sagte ich, ohne die Situation zu überblicken.
    Ich öffnete das Holztor, trat ein und folgte dem Mädchen über den Rasen. Erst da bemerkte ich, dass sie ihr rechtes Bein leicht nachzog. Ihre schmalen Schultern hingen etwas schief nach rechts und wippten regelmäßig wie die Kurbel einer Maschine hin und her. Nach ein paar Schritten hielt sie an und bedeutete mir, neben ihr zu gehen.
    »Ich hatte letzten Monat einen Unfall«, sagte sie schlicht. »Ich habe hinten bei jemandem auf dem Motorrad gesessen und bin runtergefallen. Einfach Pech.«
    In der Mitte des Rasens standen zwei mit Segeltuch bespannte Liegestühle. Über die Rückenlehne des einen war ein großes blaues Handtuch gebreitet, auf dem anderen Liegestuhl lagen quer durcheinander eine Packung Marlboro, ein Aschenbecher, ein Feuerzeug, ein großer Radio-Kassettenrekorder und Zeitschriften. Der Kassettenrekorder lief, und aus dem Lautsprecher tönte leise mir unbekannte Hard-Rock-Musik.
    Sie legte die auf dem Liegestuhl verstreuten Sachen auf den Rasen, hieß mich hinsetzen und schaltete die Musik aus. Vom Stuhl aus konnte ich zwischen den Bäumen hindurch das Gässchen und das leerstehende Haus auf der anderen Seite sehen. Ich sah sogar den weißen Steinvogel, die Goldrute und den Maschendrahtzaun. Wahrscheinlich hatte sie mich von hier aus die ganze Zeit beobachtet, dachte ich.
    Es war ein großer und einfacher Garten, der sich über einen Hügel erstreckte. Hier und da standen Bäume. Links von den Liegestühlen war ein relativ großer, mit Beton befestigter Teich angelegt, aber er schien in letzter Zeit nicht in Betrieb gewesen zu sein. Das Wasser war ausgelassen, und wie ein umgedrehtes Wassertier streckte er seinen grünlich verfärbten Grund der Sonne entgegen. Hinter den Bäumen sah der elegante Giebel eines alten, in westlichem Stil errichteten Gebäudes hervor, das Haus selbst war weder besonders groß noch schien es luxuriös zu sein. Nur der Garten war riesig und äußerst gepflegt.
    »Ich habe früher mal bei einer Firma gejobbt, die Rasen mähte«, sagte ich.
    »Wirklich?« Es schien sie nicht sonderlich zu interessieren.
    »Einen so großen Garten zu pflegen ist viel Arbeit«, sagte ich, wobei ich mich umsah.
    »Gibt es bei Ihrem Haus keinen Garten?«
    »Nur einen kleinen. Gerade Platz genug für zwei bis drei Hortensien«, sagte ich. »Bist du immer alleine?«
    »Ja. Tagsüber bin ich immer alleine hier. Morgens und abends kommt eine Haushälterin, aber sonst bin ich immer alleine. Übrigens, möchten Sie nicht vielleicht etwas Kaltes trinken? Es gibt auch Bier.«
    »Nein danke, nicht nötig.«
    »Bestimmt? Sie brauchen nicht bescheiden zu sein.«
    »Ich bin nicht durstig«, sagte ich. »Gehst du nicht zur Schule?«
    »Arbeiten Sie nicht?«
    »Ich habe keine Arbeit«, sagte ich.
    »Arbeitslos?«
    »Sozusagen. Ich habe gekündigt.«
    »Was haben Sie denn vorher gearbeitet?«
    »Ich war eine Art Laufbursche bei einem Rechtsanwalt«, sagte ich und atmete lange und tief ein, um den schnellen Fortgang des Gesprächs zu bremsen. »Ich habe bei Rathäusern und Behörden alle möglichen Akten gesammelt, das Material geordnet, mir Präzedenzfälle angesehen, die geschäftlichen Formalitäten bei Gericht
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