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Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Antonio Hill
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sein. Und an dem Tag, an dem es lernt, Papa zu sagen, wirst du ihm ein Foto zeigen. Wenn du denn eins hast«, worauf sie mit ungewohnter Vehemenz ein Hähnchen zerteilte. Und Leire, die sich nicht traute, es laut zu sagen, hatte so etwas gegrummelt wie: »Darum kümmere ich mich, wenn es so weit ist.«
    Tatsache war, dass sie sich manchmal einsam fühlte, und die vorzeitige Beurlaubung wegen heftiger Frühwehen Mitte Dezember trug das Ihre dazu bei. Seit Monaten schon war sie zum Innendienst verdammt gewesen, aber wenigstens war sie im Kommissariat, konnte die Fälle mit bearbeiten, hatte Menschen um sich. Anderthalb Monate waren es noch bis zu Abels Geburt. Sechs Wochen, in denen ihr Leben – sie sah es genau vor sich – nur darin bestehen würde, dicker zu werden, zum Arzt zu gehen, andere Schwangere zu sehen und Babysachen auszusuchen. Sie kannte die Zeitschriftenartikel schon auswendig, die erklärten, wie man das Baby am besten badet, wickelt und seine Sinne stimuliert, ein Stapel weiser Ratschläge, der bis auf halbe Sofahöhe reichte.
    Am nächsten Tag, als sie abends auf dem Sofa lag und sich die Folge einer Krimiserie ansah, die schon mindestens zweimal gelaufen war, fühlte sie sich so elend einsam, dass ihr nicht einmal nach Weinen zumute war. Die nach wie vor fremde Wohnung, die fehlenden Verpflichtungen und der fehlende Umgang mit anderen Menschen, verstärkt noch durch die ganzen Feiertage, zogen sie immer tiefer in einen melancholischen Zustand, bei dem auch Trägheit und Langeweile eine nicht unwesentliche Rolle spielten. »Abel, ich glaube, deine Mama verblödet bald«, sagte sie laut, weil sie ein Geräusch gehört hatte, das nicht vom Fernseher kam. Sie hätte am liebsten geschrien, der Welt mitgeteilt, dass sie noch da war. Und unwillkürlich dachte sie, wenn sie jetzt verschwände, würde niemand sie vermissen. Nicht vor Montag, und auch das nur mit ein wenig Glück … Wie im Fall von Ruth, der Ex ihres Chefs, würde niemand nach ihr suchen, und Montag wäre es vielleicht zu spät. Sie verspürte eine vage Angst, was gar nicht ihrem Naturell entsprach. Du musst damit aufhören, sagte sie sich und schloss die Augen, um all die Wolken aus ihrem Kopf zu vertreiben, der im Allgemeinen heiter war.
    Und als sie sie wieder aufschlug und sah, dass bloßes Wünschen nichts half, wusste sie, was sie in den sechs Wochen bis zur Geburt mit ihrer Zeit anfangen würde.
    »Leire, du bist beurlaubt.« Martina Andreu betonte jede Silbe. »Du bekommst ein Kind, und der Arzt hat dir Ruhe verordnet. Weißt du, was ›Ruhe‹ heißt? Das kann ich dir sagen: keine Arbeit.«
    Leire biss sich auf die Unterlippe und verfluchte sich selbst, weil sie nicht damit gerechnet hatte, dass die Unterinspektorin, sonst die Verständigkeit in Person, ihr Vorhaben sofort ausbremste. Das ganze Wochenende hatte siedarüber gegrübelt, wie sie es am besten angehen sollte, doch an diesem Montagmorgen zerschellten alle Argumente an Martina Andreus zwingender Logik.
    »Außerdem«, fuhr sie fort, »ist der Fall längst nicht mehr unserer. Kommissar Savall hat ihn Bellver zugeteilt, das weißt du.«
    »Eben.« Leire rang um die richtigen Worte, was angesichts ihrer Meinung zu Inspektor Dídac Bellver nicht einfach war. Sie holte Luft und preschte los. Letztlich hatte sie nichts zu verlieren. »Ich glaube, vom Kommissariat aus kann man da nicht viel machen. Sie wissen, wie das ist, die dringenden Fälle häufen sich, und dann sind andere noch dringender. Und vermisste Personen gibt es viele: Jugendliche, die von zu Hause ausreißen, Erwachsene, die abhauen, ohne eine Nachricht zu hinterlassen, und dann die echten Delikte. Sie wissen genauso gut wie ich, dass man da nicht nachkommt. Und das Thema Ruth Valldaura ist Schnee von gestern … Seit sechs Monaten ist sie jetzt schon verschwunden.«
    Genau das war das Schlimmste, und es war beiden klar. Wenn es um Vermisste ging, waren die ersten Stunden entscheidend, und bei Ruth war viel zu spät Alarm geschlagen worden. Dass es keine Spuren gab, legte ein Tötungsdelikt nahe, doch Savall hatte sich damit herausgeredet, dass es keine weiteren Indizien gebe und die Umstände besondere gewesen seien, worauf er den Fall Bellver und seinem Team übertrug.
    Leire hatte das Gefühl, dass ihre Worte nicht auf taube Ohren stießen. Die Härte wich aus Martina Andreus Gesicht. Nur ein wenig, aber sie schöpfte neuen Mut.
    »Außerdem vergeben wir uns nichts, wenn ich mich einen Teil meiner Zeit dem Fall
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