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Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Antonio Hill
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zurück. Der Inspektor blieb stehen und sah die beiden fest an. Aus der Dominikanischen Republik, ganz bestimmt. Einer von ihnen war etwa achtzehn oder neunzehn, der andere, vom Aussehen her sein kleiner Bruder, war jünger als Guillermo. Dreizehn, höchstens vierzehn.
    »Also dann, Jungs, es ist schon spät und wir alle wollen so bald wie möglich fertig sein. Ich bin Inspektor Salgado. Ihr sagt mir eure Namen und erzählt mir, was ihr gesehen habt.« Und als er sich an Forts Bemerkung erinnerte: »Und dann erklärt ihr mir, wieso ihr zurückgekommen seid. Danach gehen wir alle schlafen, einverstanden?«
    »Wir haben nichts gesehen«, sprudelte der Jüngere los und schaute grimmig zu seinem Bruder. »Wir haben einen draufgemacht und wollten von Port Olímpic nach Hause. Wir sind von der gelben Linie auf die rote umgestiegen, aber die Bahn ist uns vor der Nase weggefahren.«
    »Name?«, fragte der Inspektor noch einmal.
    »Jorge Ribera. Und das ist mein Bruder Nelson.«
    »Nelson, du hast auch nicht auf die Frau geachtet?«
    Der ältere Junge hatte sehr dunkle Augen, seine Miene war hart, misstrauisch.
    »Nein, Señor.« Er schaute geradeaus, ohne jemanden anzusehen. Seine Antwort klang martialisch.
    »Aber ihr habt sie gesehen?«
    Der Kleine lächelte.
    »Nelson hat nur Augen für sein Mädchen. Auch wenn die sauer auf ihn war …«
    Salgado erkannte in ihm jetzt den, der das Mädchen im weißen Anorak belästigt hatte. Nelson warf seinem Bruder einen wütenden Blick zu. Doch Jorge musste daran gewöhnt sein, denn er reagierte nicht.
    »Na schön. War noch jemand im Bahnhof?« Héctor wusste die Antwort, aber es gab immer noch die Möglichkeit, dass jemand im letzten Moment gekommen war. Doch beide zuckten nur die Achseln. Es war klar, dass der Streit zwischen Nelson und dem Mädchen sie abgelenkt hatte. »Okay. Was habt ihr dann gemacht?«
    »Man hat uns hier rausgeworfen, also sind wir losgerannt, um den Nachtbus zu kriegen. Und als wir an der Haltestelle waren, meinte Nelson, wir gehen zurück.«
    Sein Bruder gab ihm einen Stups mit dem Ellbogen, und Jorge senkte den Kopf. Alle Forschheit schien sich verflüchtigt zu haben.
    »Erzähl es ihm«, sagte Nelson, aber Jorge schaute nur weg. »Oder soll ich es ihm sagen?«
    Der jüngere Bruder schnaubte.
    »Scheiße, ich habe es auf dem Bahnsteig gesehen. Bevor die Türen aufgingen. Der Zug hat plötzlich gebremst, er war noch nicht ganz in der Station, und da ist mir aufgefallen, dass etwas auf dem Boden lag. Ich habe es einfach genommen, hat keiner gesehen.«
    »Was denn?«
    »Ein Mobiltelefon, Inspektor«, antwortete Roger Fort, der wieder zu ihnen gekommen war, nachdem er die Anweisung ausgeführt hatte. »Ein neues iPhone. Hier ist es.«
    Jorge schaute frustriert auf den Plastikbeutel in Forts Händen.
    »Hast du deinem Bruder gesagt, er soll es zurückbringen?«, fragte Héctor.
    »Wir Riberas klauen nicht«, sagte Nelson bitterernst. »Außerdem gibt es Dinge, die man besser nicht sieht.«
    Der Jüngere verdrehte die Augen, als wäre er es leid, albernes Zeug zu hören. Héctor bemerkte es, und nachdem er dem älteren Bruder zugezwinkert hatte, wandte er sich in strengem Ton an Jorge.
    »Also dann, Junge. Wir beide gehen jetzt aufs Kommissariat. Fort, nehmen Sie ihn mit.«
    »He, ich habe nichts getan! Sie können mich nicht …«
    »Diebstahl, Behinderung der Ermittlungsarbeit. Und Widerstand gegen die Staatsgewalt, das füge ich auf eigene Rechnung hinzu, denn das kommt bestimmt noch. Außerdem … wie alt bist du? Dreizehn? Dem Jugendrichter wird es gar nicht gefallen, dass ein kleiner Junge wie du mitten in der Nacht ›einen draufmacht‹, wie du sagst.«
    Jorge sah so erschrocken aus, dass Héctor an sich hielt.
    »Es sei denn … Es sei denn, dein Bruder, und der macht mir einen vernünftigen Eindruck, verspricht, dass er sich um dich kümmert. Und du, dass du auf ihn hörst.«
    Jorge nickte, mit der Inbrunst eines Hirtenknaben, dem die Jungfrau erscheint. Nelson legte ihm den Arm um die Schulter, und ohne dass sein Bruder es sah, zwinkerte auch er dem Inspektor zu.
    »Ich kümmere mich um ihn, versprochen.«
    Der Bahnhof war fast leer, nur noch Salgado und Fort waren da, außerdem zwei Frauen der Putzkolonne, die, nachdem sie sich bekreuzigt hatten, an die Arbeit gingen und bald vergessen hatten, dass die Station der Schauplatz eines gewaltsamen Todes gewesen war. Die Welt muss sich weiterdrehen, dachte Héctor und verfiel ungewollt in einen Gemeinplatz.
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