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Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Antonio Hill
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ein echter Luxus.
    Sie fühlte sich hier fremd, nicht wegen der Mängel, erst recht nicht wegen des Ausblicks, sondern weil die Wohnung ihr, zum ersten Mal seit Jahren, nicht ganz zu gehören schien. In einem der beiden Zimmer gab es eine Wiege, einen Buchenholzschrank und eine umlaufende Tapetenbordüre mit gelben Entlein als Trennung zwischen den beiden Grüntönen, die ihre Freundin María als ideale Farbe für das Babyzimmer ausgewählt hatte. Noch dazu hatten sich in einen Teil ihres Kleiderschranks ein paar maskuline Wäschestücke eingeschmuggelt.
    Bedrückt ging Leire zum Balkon, und sie war froh, dass sie wenigstens durch die Wohnung laufen konnte, ohne über Umzugskartons zu stolpern. Aber eine Veränderung war es schon. »Nicht die letzte, oder?«, sagte sie zu dem Kind in ihrem Bauch. Manchmal antwortete es mit ruckartigen Bewegungen, andere Male schien es sich nicht angesprochen zu fühlen. Sie versuchte sich die Gesichtszüge des Babys vorzustellen, aber sie schaffte es nur, ihm das zerknitterte Gesichtchen eines schlafenden Kobolds zu geben. Ob Abel mehr ihr ähnelte oder Tomás? Egal, falls ihm, wäre es nicht das Schlechteste, dachte sie mit einem Lächeln. »Nur sollten sich die Ähnlichkeiten dann aufs Körperliche beschränken, nicht wahr, Kleiner? Sonst kriegen wir beide noch Ärger …«
    Tomás war eine Geschichte für eine Nacht gewesen, ausgedehnt auf drei Nächte und später auf irgendein sporadisches Wochenende. Sex ohne Verpflichtung. Sex ohne Tabus. Und einmal, ein einziges Mal, auch wenn niemand es glaubte, Sex ohne Kondom. Aber Volltreffer. Tomás’ Reaktion nach einem Teller aufgewärmter Kroketten, für beideschon geradezu legendär – »Ich brauche ein bisschen, um mich an den Gedanken zu gewöhnen« –, hatte für Leire geklungen wie das übliche Vorspiel zu einem »nicht mit mir«. Doch Tomás überraschte sie, denn nur ein paar Tage später stand er in der Tür, um »ernsthaft« mit ihr zu sprechen.
    Und das hatten sie, lang und breit, hatten Für und Wider abgewogen, als wäre das Ganze eine Frage der Vernunft, wo beide genau wussten, dass es das nicht war. Am Ende hatten sie sich über verschiedene Punkte geeinigt. Erstens, sie waren nicht verliebt, zumindest nicht auf diese romantische Art, die es einem verbietet, sich ein Leben ohne den anderen vorzustellen. Zweitens, sie lebten weiter in verschiedenen Städten, wenn auch nur getrennt durch knapp drei Zugstunden mit dem AVE. Drittens, das Kind war Sache beider. So dass die Schlussfolgerung, die schöner klang, als es das Kleingedruckte verhieß, gewesen war: Nein, sie würden kein Paar sein – zumindest vorerst nicht –, aber Eltern. »Eltern mit gewissen Vorzügen«, wie María es nannte.
    Sie waren froh über diesen Entschluss, und tatsächlich setzten sie alles daran, ihn zu verwirklichen. Tomás verbrachte ein paar Wochenenden bei Leire, kümmerte sich um den Umzug und solche Dinge wie das Anbringen von Steckdosen; von Abel schwärmte er geradezu und drohte damit, ihn bei Real Madrid als Mitglied anzumelden. Das Thema Geld hatten sie nicht angeschnitten. María hatte ihnen die paar Sachen für das Kinderzimmer geschenkt, und was die Wohnung betraf, gedachte Leire nicht, auch nur einen Euro von Tomás anzunehmen. Bis zur Geburt des Kleinen, sagte sie sich, kann man nicht mehr von ihm verlangen. Obwohl sie schon gerne jemanden an ihrer Seite gehabt hätte, wenn sie zum Geburtsvorbereitungskurs oder zur Ultraschalluntersuchung ging und ihr der Anblick dessen, was da heranwuchs, Tränen entlockte, die sie nicht begreifen konnte; genauso an den Freitagabenden, wenn sie zu müde war, umauszugehen, aber noch zu fit, um allein zu sein. Oder an so einem endlosen Brückentag, dachte sie, während sie die Sagrada Familia betrachtete, diese unvollendete Zeugin ihrer Langeweile, die sie schon zu hassen begann. Tomás aber war mit ein paar Freunden zum Skilaufen in der Sierra, in einem Ort, dessen Name Leire an Widerstandskämpfer oder Banditen erinnerte. Dass sie nichts zu tun hatte und María, ihre beste Freundin, fürs Wochenende weggefahren war, war nicht Tomás’ Schuld, aber es ermunterte sie auch nicht gerade, liebevoll an ihn zu denken. Leires Mutter, eine Asturierin, die kein Blatt vor den Mund nahm, hatte das Ganze bei einem Küchengespräch in Sätze gefasst, die sich langsam als prophetisch erwiesen: »Du wirst allein sein. Wenn das Kind auf die Welt kommt, wirst du allein sein. Wenn es nachts schreit, wirst du allein
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