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Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)

Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)

Titel: Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)
Autoren: Raul Zelik
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in den Bann, lenken von Fil ab, den anzufassen sich Daniel wegen der Schläuche, der im Körper steckenden Kanülen, nicht traut. Der Eindringling hieß das Buch auf dem Rolltisch: Wer? Fil oder die Beatmungsmaschine oder Daniel, der Besucher, oder die Organe, die man einsetzen wird?
    Daniel spürt, wie sein Mund trocken wird, der Blick erneut verschwimmt, sich Atemnot einstellt, ein Gefühl, das von Fil auf ihn überzuspringen scheint. Die Brust wie durch ein Korsett zusammengeschnürt, der Herzschlag immer unregelmäßiger. Oder bildet er sich das ein? Irritiert tastet Daniel nach dem eigenen Puls, prüft, ob sein Herz, keine Maschine, ein Muskel, Aussetzer hat, fragt sich, ob er diese Krankheit geerbt hat, ihm jetzt auch der Herz-Lungen-Tod droht. Es ist zu hell, zu kalt, denkt er, reibt sich die Stirn, zu dunkel, zu warm, er merkt, dass er schneller atmen, denBlick von der Kanüle ins Fils Hals abwenden muss, und entdeckt dann neben dem Krankenbett einen rettenden Hocker, auf den er niedersinkt, auf dem er zusammensackt.
    Fil liegt währenddessen weiter regungslos im Bett, ein Stück gekühltes Fleisch, das vielleicht, irgendeines Tages, wieder zum Leben erweckt wird, vielleicht auch dauerhaft in diesem Konservierungszustand gehalten werden muss, kaum wahrnehmbar altert, ohne zu leben, und eines Tages verstirbt oder einfach abgeschaltet wird. Auf dem Grabstein sind dann zwei, drei Jahre als Lebenszeit vermerkt, die völlig bedeutungslos verstrichen sind.
    Eigentlich könnte Fils Schicksal ihm egal sein, denkt Daniel, eigentlich hat er keinen Grund, Mitgefühl für den Vater zu hegen, Fil ist schon vor langer Zeit aus seinem Leben verschwunden, und Daniel ärgert sich, dass er sich trotzdem um den Vater sorgt, er Angst um ihn hat, ist wütend darüber, dass Fil sein Mitleid erregt. Und wieder wird ihm schummrig, muss er tief Luft holen, würde er sich am liebsten hinlegen, die Füße hochlegen, damit das Blut in den Kopf zurückströmen kann, reißt sich nur deshalb zusammen, weil ihm so ein Kollaps peinlich wäre: vor dem Krankenhauspersonal, das mit der Verwaltung lebenserhaltender Maßnahmen, der Kontrolle des Maschinenparks gut ausgelastet ist, zu Boden zu gehen. Auch hinaus kann er nicht, kann nicht einfach nach ein paar Minuten, wie schnell die Zeit hier verstreicht, lässt sich kaum sagen, schon wieder verschwinden.
    Das wird schon wieder, beginnt Daniel, der nicht wegkann, nicht weiß, was er tun soll, also schließlich zu reden, Ansprache verbessert die Heilungschancen des Komapatienten . Sie sagen, dass sich deine Lunge wieder erholen kann … Habensie das wirklich gesagt oder hat er das nur so interpretiert? … Außerdem hast du auch bei einer Transplantation ganz gute Chancen, siebzig Prozent sagen sie … Im ersten Jahr, denkt er, sterben dreißig Prozent, fast jeder Dritte stirbt … Ich frage mich, ob du wohl etwas träumst. Träumst du etwas? Die Geräte machen einen verrückt, das ständige Piepsen … Man muss versuchen, das zu ignorieren … Schaffst du, das zu ignorieren? … Hörst du das Piepsen überhaupt?
    Aber wenn der Vater das Piepsen nicht hört, kann er auch die Frage nicht verstehen.
    Daniel greift nach Fils Hand, greift jetzt doch noch nach der Hand, obwohl auch hier eine Kanüle gelegt ist, über die langsam tropfend eine Infusion, vielleicht Nahrung, vielleicht Medikamente, in den Körper des Vaters gelangen, streicht Fil über die Finger, die sich kalt anfühlen, hält die Fingerkuppen unsicher umklammert.
    Und dann spürt er, wie erneut Zorn in ihm aufsteigt, weil er sich um den Vater kümmern muss, weil er jetzt in der Rolle eines nächsten Verwandten ist. Eine Nähe, die er nicht gewollt, für die Fil nichts getan hat.
 
    Als er die Intensivstation wieder verlässt, den Kittel vor der Tür abstreift und in einen Wäschebehälter stopft, kommt eine Krankenschwester auf ihn zu.
    Von oben sind ein paar Sachen geschickt worden.
    Von oben. In Krankenhäusern scheint eine absteigende Ordnung zu herrschen: Je tiefer, umso toter. Im Keller sind die Kühlfächer der Pathologie untergebracht. Werden die organspendenden Hirntoten, fragt sich Daniel, eigentlich dort oder in der Chirurgie ausgeweidet?
    Die Sachen hat Ihr Vater für Sie hinterlegt.
    Sie drückt ihm ein Buch, eine Schokolade, einen Brief in die Hand. Auf dem Umschlag steht sein Name.
    Daniel bedankt sich leise und geht zum Aufzug.
    Doch in der Eingangshalle holt er zunächst nicht den Brief, sondern das Handy aus der
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