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Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)

Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)

Titel: Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)
Autoren: Raul Zelik
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Kindheit.
    Aber als er etwas gründlicher über das Angebot nachdenkt, erinnert er sich auch, dass die Wohnung, in der Fil seit etwas mehr als einem Jahr wohnt, nichts mit den Bildern aus der Kindheit zu tun hat. Daniel war nur wenige Male dort, hat sie sich nur oberflächlich angeschaut, etwas beim Vater abgeholt, Werkzeug, ein Buch, aber doch genug gesehen, um zu wissen, dass diese Wohnung anders ist als die bemalten Häuser der Vergangenheit, und so beginnt es in seinem Kopf zu arbeiten – dass das Angebot zwar etwas Hinterhältiges hat, an einen Ablass erinnert, aber Daniel mit seinem Geld kaum über die Runden kommt, weil Connys Sekretärinnengehalt nicht ausreicht, um ihm zum Bafög etwas dazuzugeben, und Jobs in Berlin noch schlechter bezahlt werden, als sie zu bekommen sind.
 
    Als er eine Viertelstunde später in den U-Bahn-Schacht tritt, weicht die Benommenheit endlich von ihm. Der Anblick der einfahrenden U-Bahn verdrängt die Bilder des an Maschinen gefesselten Körpers.
 
    Daniel war neun, als er aufhörte, Fil in den Ferien zu besuchen. Dreimal hintereinander hatte der Vater eine Verabredung kurzfristig abgesagt, weil etwas Wichtiges dazwischen gekommen war, eine Verpflichtung, etwas Politisches, eine kleine Katastrophe . Die letzten beiden Male hatte Fil Connynur kurz am Telefon mitgeteilt, dass er nun doch keine Zeit für Daniels Besuch habe, es aber nicht einmal mehr für nötig gehalten, mit Daniel selbst zu sprechen; danach brach der Kontakt ab, wartete Daniel vergeblich auf einen Anruf, einen Brief des Vaters, und so verschwand Fil einfach aus Daniels Leben, als sei er ausgewandert, bei einer Reise verschollen, schickte nur noch zum Geburtstag eine Karte, ein bisschen Geld anstelle eines richtigen Geschenks. Jahre später, Daniel war mit der Schule fast fertig, sahen sie sich ein paar Mal wieder, trafen sich sporadisch, redeten dabei aber konsequent aneinander vorbei. Zum Beispiel als Daniel auf Klassenreise in Berlin war: Er hatte den Vater angerufen, hatte ihn treffen wollen, um ihm von seinen Lebensplänen zu erzählen, von Fil zu hören, was der für richtig hielt, denn obwohl Daniel sehr verletzt war, sich vom Vater verlassen fühlte, imponierte ihm dessen Lebenshaltung. Andere machten Karriere, redeten über Geld, Autos, eine teure Wohnungseinrichtung, Sicherheit; anderen ging es um Beruf, Erfolg, Wohlstand, Beziehungen, ein kleines bisschen Macht. Fil dagegen schien seinen eigenen Rhythmus zu leben, machte Dinge, die ihm keinen Vorteil verschafften, war wie aus einer anderen Welt: nichts dafür tun, um Anerkennung zu bekommen, sich um Ansehen einen Teufel scheren und dabei trotzdem selbstsicher wirken: smart, cool, beschäftigt. Das hatte etwas Souveränes, und Daniel wünschte sich, dass der Vater seine eigenen Pläne gutheißen, ihm wenigstens ein paar freundliche Ratschläge mit auf den Weg geben würde.
    Es war ein Frühlingstag, ein strahlender Morgen, obwohl die Sonne noch etwas blass war, die Luft eisig auf der Haut lag, die Menschen sich unter die Kragen ihrer Daunenjackenduckten. Daniel erinnert sich, dass er die Augen schloss, um die Sonne im Gesicht zu genießen, eine Möwe verwirrt über dem Kanal kreuzte, die Spaziergänger am Wasser flanierten. Auf dem gegenüberliegenden Ufer reflektierte eine Windschutzscheibe Sonnenlicht, bildete einen Strahlenkranz, und für einen Augenblick hatten die Passanten so etwas wie einen Heiligenschein.
    Der Vater kam zu spät, nicht viel, aber doch genug, um eine gewisse Gleichgültigkeit zu signalisieren, bei Daniel sofort wieder Verletztheit aufkommen zu lassen, und nahm ihn dann zur Begrüßung in den Arm, zog den Sohn einfach an sich heran, eine Nähe, die Daniel irritierte, auf die er mit einer Spur Abscheu reagierte.
    Irgendjemand saß an der Brücke und spielte Gitarre, worüber Daniel sich wunderte, denn seine eigenen Finger waren vor Kälte ganz steif, und schon nach wenigen Sätzen, Fil und er spazierten durch die spätwinterliche, vorfrühlingshafte Landschaft, die Schuhsohlen knackten auf tauenden Eisplatten, die Luft roch nach Schnee und biss in den Lungenflügeln, jenen Lungenflügeln, die vielleicht damals schon krank waren, begann Daniel von der Schule zu erzählen; davon, dass er ganz gut klarkam, nach dem Abitur wegziehen wollte aus Göttingen, ein halbes Jahr herumreisen und danach auf keinen Fall »so einen Business-Beruf« machen wollte. Dass er Journalist werden wollte, erklärte Daniel, sich beim Stern auf ein
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