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Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)

Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)

Titel: Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)
Autoren: Raul Zelik
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Lungenfibrose leidet?
    Daniel weiß es nicht, versteht nicht, nickt trotzdem.
    Mit entzündungshemmenden Medikamenten, erläutert die Stimme, ließen sich Fibrosen bisweilen gut unter Kontrolle bekommen, der Vater jedoch, Herr Jensen , habe einen Kollaps erlitten, einen schlagartigen Abfall der Lungenfunktion, man habe ihn deshalb in ein künstliches Koma versetzt und an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlossen, und wieder nickt Daniel, ohne zu verstehen, blickt am Arzt vorbei – ins Nichts, auf eine ausnahmsweise nicht senfgelb, sondern weiß getünchte Wand, auf dem Putz ist ein winziger Fleck zu sehen, der den Blick verschwimmen lässt.
    Soweit wir wissen, sind Sie der einzige nahe Verwandte.
    Als Einzelkind, denkt Daniel, bleibt alles an einem hängen.
    Der Vater habe bislang keine irreparablen Schäden erlitten, erläutert der Arzt, kaum älter als Daniel, ein Alter, in dem man an die Unheilbarkeit von Krankheiten keine Gedanken verschwendet, und lächelt ihn aufmunternd an, versucht ihn aufmunternd anzulächeln.
    Was das bedeute?
    Daniel wendet den Blick nicht von dem winzigen Fleck an der Wand.
    Sie suchten nach Spenderorganen, erwidert der Arzt.
    L'intrus , der Eindringling, das transplantierte Organ, der Fremde im eigenen Körper. Daniel fällt das auf dem Rolltisch neben dem Krankenbett liegende Büchlein wieder ein, Fil hat es gewusst, hat es die ganze Zeit gewusst, und auch er hätte es ahnen können.
    Spenderorgane? fragt Daniel, fast stimmlos.
    Der Arzt fährt fort, dass es bisweilen erfolgversprechender sei, Herz und Lunge gemeinsam zu transplantieren.
    Erfolgversprechender.
    Der Punkt an der Wand zerläuft wie ein Tintenfleck, fasert an den Rändern wässrig aus.
    Herz und Lunge. Aufgerissene Brust, Austausch der wichtigsten Organe, Wechsel einer Körperidentität. Den Rest erledigen Medikamente, die die Abwehrreaktion des Körpers gegen die Eindringlinge blockieren, das lebensrettende Fremde vor dem Eigenen schützen. Jeder hat schon einmal im Fernsehen eine Reportage darüber gesehen.
    Und das überlebt man?
    Heutzutage habe man realistische Chancen.
    Realistisch, denkt Daniel.
    Dass der Vater jung sei, bekräftigt die Stimme, dass heutzutage siebzig Prozent der Patienten das erste Jahr nach einer Herz-Lungen-Transplantation überlebten.
    Das erste Jahr . Ein Tintenfleck, der in den Augen selbst zerfließt. Augen, in die man hineinschauen kann, aber aus denen niemand hinauszublicken scheint. Eine Wüste, ein Tier.
    Das erste Jahr sei das schwierigste, schiebt der Arzt hinterher. Und Daniel sollte auch wissen, dass ein transplantiertes Organ nach mehreren Jahren erneut ersetzt werden müsse, nach fünf bis sieben, vielleicht auch erst nach einem längeren Zeitraum.
    Einen Augenblick hört man nur das Piepsen der Messgeräte.
    Ihr Vater hat einer Transplantation zugestimmt.
    Ist mir neu.
    Der Arzt macht eine hilflose Handbewegung, erklärt, dass sie nicht wüssten, wann sie operieren könnten, weil Spenderorgane, Daniel habe sicher davon gehört, sehr rar seien. Der Vater habe aber immerhin das Glück, zu einer verbreiteten Blutgruppe zu gehören.
    Der Arzt wird angepiepst. Ein neuer kritischer Fall, ein weiterer Kollaps, ein anderer Brustkorb, der zum Maschinenteil verwandelt werden muss.
    Ja, denkt Daniel, ich hab einmal eine Sendung darüber im Fernsehen gesehen, ich kenne die Fragen, die sich in diesem Zusammenhang auftun: Darf man einen Hirntoten ausweiden? Darf man um des Lebens willen das Leben selbst in ein Ersatzteillager verwandeln? Daniel hat das Fernsehbild vor Augen: drei Männer in einer Runde, die genau darüber diskutieren.
    Besuchen Sie Ihren Vater, reden Sie mit ihm, Ansprache verbessert die Heilungschancen von Komapatienten, sagt der Arzt, bevor er davoneilt, zur nächsten auf ihre Grundfunktionen reduzierten Existenz – während Daniel, langsam, die Benommenheit weicht nicht, aufzustehen versucht.
 
    Eine Schwester führt Daniel hinter den Vorhang, zum Krankenbett, wo Fil unter einem dünnen, hellblauen Laken liegt, die Augen geschlossen, das Gesicht ganz bleich. Eine hydraulische Maschine hat die Aufgabe übernommen, Luft zu- und abzuführen, in der Halsschlagader ist eine Kanüle versenkt, auf einem Bildschirm steigen und fallen Kurven: Puls, Atemfrequenz, Blutdruck, Hirnströme. Ich kenne das aus dem Fernsehen, denkt Daniel, tausendmal hat er das gesehen, trotzdem weiß er nichts davon zuzuordnen. Die Maschinen und Kurven ziehen ihn in ihren Bann, ziehen ihn mit ihren Bahnen
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