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Der Durchblicker: Novelle (German Edition)

Der Durchblicker: Novelle (German Edition)

Titel: Der Durchblicker: Novelle (German Edition)
Autoren: Irvine Welsh
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mit dem Finger auf diesen gemeingefährlichen Irren zeigen.
    – Is doch halb so wild. Tut mir leid, Bri. Aber du hättest mich nich schlagen sollen, Bri. Morgen früh blüht mein Auge in allen Farben. Mein Kinn auch, Bri, hast mir n schönes Ding verpasst. Aber dass wir beide uns ledern, Bri, das ist doch bekloppt.
    Der blöde Sack will mich mit ner Bestandsaufnahme der Schäden, die ich ihm zugefügt hab, aufmuntern. Bei solchen Aktionen gibt es keine Sieger; nur solche, die am wenigsten verloren haben. Roxy hat am wenigsten verloren, das betrifft sowohl die körperlichen Schäden als auch das Machoselbstbewusstsein. Das wissen wir beide, aber ich find’s nett, dass er mich aufmuntern will.
    Ich lasse ihn stehen, weiß der Henker, wie ich aus dem Friedhof rausgefunden hab, und mach mich auf den Weg zu meinem Alten. Unterwegs kotze ich mir übers Hemd. In meiner Verwirrung gehe ich zum alten Haus in Muirhouse.Das Haus stand immer noch leer, es war noch nicht vermietet worden. Ich versuchte, die Tür einzutreten, und hätte es auch getan, hätte mich nicht die alte Mrs. Sinclair von nebenan daran erinnert, dass mein Dad weggezogen war.
    Ich taumelte davon und musste wieder kotzen. Meine ganze Vorderseite war mit Blut und Kotze eingesaut. Am Einkaufszentrum kamen mir n paar Jungs entgegen.– Die Fotze is ja vielleicht dicht, bemerkte einer.
    – Ich kenn die Sau. Du hängst doch mit dieser Schwuchtel rum, oder Alter?
    – Äh … Ich versuchte eine Antwort rauszubringen, aber ich konnte es nicht. Ich war völlig klar, sie kam nur einfach nicht raus.
    – Wer sich mit Schwuchteln rumtreibt, wird selbst ne Schwuchtel. So seh ich das. Was sagste n dazu, Alter?
    Ich sehe den Typ an und schaffe es, zu fragen:– Und wie wär’s mit uns zwei Süßen?
    Sie sehen mich n paar Sekunden ungläubig an, dann sagt einer,– Schlauscheißer!
    – Das is mein Name, Jungs, räume ich ein. Ich fühle einen dumpfen Schlag, dann krache ich zu Boden. Ich werde zusammengetreten, spüre aber nichts. Es scheint ziemlich lange so zu gehen, und das beunruhigt mich, denn normalerweise kann man die Heftigkeit ner Treterei nach ihrer Dauer beurteilen. Egal, ich lasse es mit der gleichen passiven, angewiderten Gelassenheit über mich ergehen wie ein entfremdeter Arbeiter seine Schicht, und als ich überzeugt bin, dass es vorbei ist, komme ich taumelnd wieder auf die Füße. Vielleicht ist es gar nicht so schlimm; ich kann ohne Schwierigkeiten gehen. Es scheint mir sogar den Kopf ein bisschen geklärt zu haben. Danke, Jungs.
    Ich überquere die Schnellstraße, raus aus dem schicken Muirhouse und rüber ins versiffte Pilton. Na schön, vielleicht sehen die Leute das heute anders, aber für mich ist es immer so gewesen. Muirhouse hat die neueren Häuser. Pilton ist für Penner. Scheißegal, was Muirhouse heute für Probleme hat und wie sehr sie Pilton aufmotzen. Pilton ist Pilton und Muirhouse ist Muirhouse, und so wird’s immer bleiben. Verfickte, wanzige Piltonfotzen. Die Fotzen, die mich gestiefelt haben, waren aus Pilton; das ist die Mentalität von diesen Fotzen. Ich krieg wahrscheinlich Läuse, weil ich bloß in die Nähe von den siffigen Dreckspiltonfotzen gekommen bin.
    Ich finde das Haus und weiß nicht, wer mich reinlässt.
    Am nächsten Morgen stelle ich mich schlafend, bis sie alle zu nem netten, kleinen Familienausflug weg sind: Dad, Norma und ihre laute, hyperaktive Tochter. Ich fühle mich total zerschlagen. Ich kann kaum laufen, als ich aufstehen will. Ich hab am ganzen Körper Schrammen und blaue Flecken, und ich pisse Blut, das macht mir ne Scheißangst. Ich nehm erst mal n Bad, und danach fühle ich mich schon etwas besser, also entschließe ich mich, n bisschen rumzuschnüffeln. Ne Menge Sachen sind noch in Kisten verpackt. Sie renovieren diesen billigen, geschmacklosen kleinen Schuhkarton von Haus. Ich stoße auf nen kleinen Lederkoffer, den ich noch nie gesehen hab, und nehme an, er gehört Norma. Tut er aber nicht.
    Der Koffer war voll mit Fotografien. Von mir und Deek als Kinder, von ihm, von meiner Mutter. Fotos, die ich noch nie gesehen hab. Auf einem war sie, mit ihm. Ich versuchte mir vorzustellen, ich könnte ihr den Schmerz, die Unzufriedenheit ansehen, doch das konnte ich nicht. Anfangs nicht. Dann kam ich zu ein paar Fotos, von denen ich wusste, dass sie später aufgenommen waren, weil Deek und ich ein bisschen größer waren. In diesen Bildern konnte ich es lesen; mit der Hilfe der Erinnerung war es alles nur
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