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Der Dunkle Turm 7 - Der Turm

Titel: Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
Autoren: King Stephen
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Rolands im Prinzip körperloses Wesen durch die Gewalt ihrer vereinigten Stimmen wie ein Wolfmilchsamen in böigem Oktoberwind fortgewirbelt werden könnte, fühlte der Revolvermann, wie er rasch wegstieg und dabei den Kontakt zu diesem Ort verlor, ohne aber jenes eine Wort loszulassen. Es brachte klare Erinnerungen an seine Mutter mit sich, wie sie sich über ihn beugte, wenn er in seinem Bett lag. Das war in einem Zimmer mit vielen Farben gewesen, seinem Kinderzimmer, und jetzt verstand er natürlich die Farben, die er als kleiner Junge nur als gegeben hingenommen hatte, wie kaum ihren Windeln entwachsene Kinder eben alles hinnehmen: mit bedingungsloser Verwunderung, mit der unausgesprochenen Annahme, alles sei magisch.
    Die Fenster des Kinderzimmers waren natürlich in den Farben des Regenbogens getönt gewesen. Er erinnerte sich daran, wie seine Mutter sich über ihn gebeugt hatte, ihr Gesicht von diesem sanften Farbenspiel gescheckt und ihre Kapuze zurückgeschlagen, damit er die Kurve ihres Nackens mit den Augen eines Kindes
    (alles ist magisch)
    und der Seele eines Liebhabers verfolgen konnte. Er erinnerte sich daran, sich vorgestellt zu haben, wie er sie umwerben und seinem Vater abspenstig machen würde, falls sie ihn haben wollte; wie sie heiraten und selbst Kinder haben und auf ewig in einem Märchenkönigreich namens Allesglänzt leben würden; wie sie für ihn sang, wie Gabrielle Deschain für ihren kleinen Sohn sang, der mit großen Augen ernst von seinem Kissen zu ihr aufsah und dessen Gesicht bereits von den verschwimmenden Farben seines Wanderlebens geprägt war; wie sie ein kleines Nonsenslied mit folgendem Text sang:
     
    Kleiner Spatz, mach’s mir nicht schwer,
    Bring dein kleines Körbchen her
    Schripp und schrapp und schrull,
    Und schon ist das Körbchen voll.
     
    Genug, um meinen Korb zu füllen, dachte Roland, während er schwerelos durchs Dunkel und den schrecklichen Klang des Flitzer-Glockenspiels gewirbelt wurde. Die Worte waren nicht völliger Nonsens, sondern alte Zahlen – das hatte seine Mutter ihm später erklärt, als er sie gefragt hatte. Schripp, schrapp, schrull: siebzehn, achtzehn, neunzehn.
    Schrull ist neunzehn, dachte er. Natürlich, alles ist neunzehn. Dann kamen Eddie und er wieder ans Licht, in fiebrig-krankes orangerotes Licht, und dort waren Jake und Callahan. Er konnte sogar Oy sehen, der mit gesträubtem Fell und hochgezogenen Lefzen, die seine Reißzähne sehen ließen, neben Jakes linkem Fuß stand.
    Schripp, schrapp, schrull, dachte Roland, während er seinen Sohn beobachtete: einen kleinen, im Speisesaal des Dixie Pig zahlenmäßig so schrecklich unterlegenen Jungen. Schrull ist neunzehn. Genug, um meinen Korb zu füllen. Aber welchen Korb? Was bedeutet das alles?
     
     
    4
     
    Neben der Kansas Road in Bridgton wippte John Cullums zwölf Jahre alter Ford träge auf und ab (hundertsechstausend Meilen auf dem Tacho, aber gerade erst »eingefaahn«, wie Cullum den Leuten gern erzählte), sodass die Vorderreifen das weiche Bankett berührten und dann hochstiegen, damit die Hinterreifen den Erdboden berühren konnten. In seinem Inneren machten zwei Männer, die nicht nur bewusstlos, sondern durchsichtig zu sein schienen, die Bewegungen des Autos träge rollend mit – wie Leichen in einem gesunkenen Schiff. Und um sie herum schwebten die Abfälle, die sich in jedem alten Wagen ansammelten, der viel gefahren worden war: Pfeifenasche und Kugelschreiber und Büroklammern und die älteste Erdnuss der Welt und ein Penny vom Rücksitz und Tannennadeln aus den Fußmatten und sogar eine der Fußmatten selbst. Im Dunkel des Handschuhfachs klapperten Gegenstände schüchtern gegen den geschlossenen Deckel.
    Ein Vorbeikommender wäre beim Anblick aller dieser Dinge – und von Menschen! Menschen, die tot sein konnten! –, die in einer Limousine wie Abfall in einer Raumkapsel schwebten, zweifellos wie vom Donner gerührt gewesen. Aber es kam niemand vorbei. Die am Long Lake auf diesem Ufer wohnenden Leute starrten fast alle übers Wasser nach East Stoneham hinüber, obwohl es dort praktisch nichts mehr zu sehen gab. Selbst der Rauch hatte sich weitgehend verflüchtigt.
    Der Wagen schwebte träge wippend, und in seinem Inneren stieg Roland von Gilead langsam zur Decke auf, wo er mit dem Nacken den schmutzigen Wagenhimmel streifte und den ausgestreckten Beinen kaum mehr die Rückenlehne des Beifahrersitzes berührte. Eddie wurde anfangs noch vom Lenkrad festgehalten, aber dann
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