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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne
Autoren: Nina Blazon
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entgegnete Manja. »Wenn das Mädchen wirklich Canda war, warum habt ihr sie dann heute Morgen nicht zu Tian gelassen – sie war völlig aufgelöst und wollte doch zu ihm?«
    Meine Eltern verständigten sich mit einem einzigen Blick, mit dem Gleichklang sehr inniger Paare, der mir als Kind oft das Gefühl gegeben hatte, weit außerhalb von jeglicher Bindung zu stehen, allein und unvollständig.
    »Glaubt ihr im Ernst, sie hätte sich nach diesem Angriff noch in den Prunkraum geschleppt?«, sagte mein Vater so leise, wie er vorher mit den Wächtern gesprochen hatte. »Sie wurde mit der Faust niedergeschlagen! Sie stand unter Schock und konnte vor Schmerz kaum noch laufen. Sorgt ihr so für die Sicherheit und Achtung eurer zukünftigen Tochter?«
    Mir war so schwindelig, dass ich die Augen schließen musste. Aber hinter meinen geschlossenen Lidern stand immer noch das Bild: zwei Familien, kurz davor, aus einem Funken Misstrauen ein Feuer aus Anschuldigungen und Feindschaft zu entfachen, die uns alle und unsere Pläne verbrennen würde. An einem anderen Tag wäre es für mich ein Leichtes gewesen, einen Weg zu finden, um sie wieder zu versöhnen, mit einem Wort, einem Lächeln, einem klugen Einwand. Sterne am Himmel, helft! , flehte ich. Wenn unsere Eltern jetzt im Streit auseinandergingen, war alles aus.
    Aber Manja ging auf die Vorwürfe nicht ein. »Minas! Isané! Wir vier kennen uns doch schon seit unseren Kindertagen. Auch in schlimmsten Zeiten vertrauten wir einander und haben es nie bereut. Und jetzt teilen wir das schlimmste Unglück – und das in einer Zeit wie jetzt, in der immer mehr Sicherheiten und Bündnisse zerbrechen. Also sagt uns, was wirklich geschehen ist!«
    Vater schüttelte scheinbar ratlos den Kopf. »Eine verschobene Hochzeit ist doch nicht das schlimmste Unglück.«
    »Habt ihr kein Herz? Wie könnt ihr so ruhig und kalt sein! Ich spreche davon, dass unseren armen Kindern etwas Schreckliches zugestoßen ist!«
    Manja brach in Schluchzen aus und die Leere in mir wurde zu einem Abgrund. Jetzt begriff ich. Tian ist dasselbe passiert wie mir! Ich musste schlucken und es fühlte sich an, als müsste ich einen Stacheldrahtball herunterwürgen.
    »Was soll denn eurem Sohn Schreckliches zugestoßen sein? Ich habe ihn vor wenigen Stunden noch gesehen. Friedlich schlafend, im Kreis seiner Freunde und Brüder.« Es war Vaters Richtertonfall. Interessiert, sachlich, aber er war auf der Hut, bedacht darauf, als Erster Informationen zu erhalten, bevor er selbst seine Karten auf den Tisch legte.
    Jetzt verlor auch Tians so sanfter Vater die Geduld. »Was hast du gesehen, Minas? Was ?« Noch nie hatte ich ihn schreien gehört. »Seine Entführer? Warum vertuscht ihr, dass Canda auch verschwunden ist?«
    Auch verschwunden? Stein glitt vor meinen Augen entlang, ich sackte zusammen. Alles bekam einen furchtbaren Sinn. Mein Traum – und das Gefühl der Leere.
    »Wir wissen nicht, wovon ihr sprecht«, sagte Mutter mit einer Stimme, die so neutral war wie weißes Papier.
    »Versuch nicht, uns für dumm zu verkaufen«, brüllte Manja. »Tian wurde entführt! Es muss von langer Hand geplant worden sein. Und eure Canda ist auch verschleppt worden! Was spielt ihr für ein Spiel, dass ihr es verheimlicht und …«
    Irgendwo in weiter Ferne hallte ein rauer, verzweifelter Schrei. Aber erst als ich keine Luft bekam, begriff ich, dass er aus meiner Kehle gekommen war. Ich versuchte zu atmen, aber die Kammer schien sich um mich zu schließen und mich zu ersticken.
    Das Nächste, woran ich mich erinnere: Holz unter meinen Fingern, blendendes Licht, die Vase, die auf dem Marmor zersplitterte. Blumenwasser und Rosenblätter, die wie Blutflecken an meinen nassen Ärmeln und meinen Händen klebten. Und dann richtiges Blut von meinen Fingern, die blind in die Scherben griffen, während ich versuchte, auf die Beine zu kommen. Die Flügeltüren öffneten sich und Manja und die anderen stürzten in den Flur. Manja entdeckte mich als Erste auf dem Fußboden, inmitten von Scherben und Blütenblättern. Sie stürzte mit einem Ausruf des Erstaunens auf mich zu und wollte mich umarmen, aber als ich den Blick hob und ihr ins Gesicht sah, prallte sie entsetzt zurück.
    »Wir müssen ihn finden!«, schluchzte ich. Manja und Oné wichen zurück, als hätte ich eine ansteckende Krankheit.
    Vater packte mich am Arm und zog mich hoch. Und während meine Eltern und Vida mich aus dem Flur führten, hörte ich, wie Tians Vater fassungslos
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