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Der dunkle Grenzbezirk

Der dunkle Grenzbezirk

Titel: Der dunkle Grenzbezirk
Autoren: Eric Ambler
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Carruthers vom Secret Service anvertraut hatte, in der Annahme, einen harmlosen, weltfremden Wissenschaftler vor sich zu haben. Der Waffenhändler ahnte nicht, wie teuer ihn dieser Fehler zu stehen kommen sollte.
    Er läutete nach dem Speisewagenkellner und bestellte einen Apéritif.
    Er hatte schon beschlossen, von Grooms Irrtum zu profitieren und das Angebot von Cator & Bliss anzunehmen. Der Plan hatte viele Vorteile. Als Grooms Vertrauter hatte er zum Beispiel Zugang zu den geheimen Informationen, die sich dieser Herr in Zovgorod beschaffen würde. Auf jeden Fall war nichts gewonnen, wenn er schon jetzt seine Karten auf den Tisch legte. Er hatte bis auf eins dasselbe vor wie Groom. Sie wollten beide hinter Kassens Geheimnis kommen und die Herstellung der Bombe verhindern. Was aber passieren würde, wenn diese Ziele erreicht worden waren, stand auf einem andern Blatt.
    Er wünschte jetzt, er hätte in England noch Zeit gehabt, den Namen des ixanischen Vertreters herauszufinden. Er hatte aber schon beschlossen, seinen Freund André Durand von der Pariser Sûreté um Informationen über Groom zu bitten. Auch was den anderen betraf, würde dieser ihm sicher weiterhelfen können.
    Wenn es um Schlachtpläne ging, so zog Conway Carruthers einfache und direkte ausgeklügelten und listenreichen vor. Seine Abenteuer hatten ihn gelehrt, daß man sich nicht auf Vorausberechnungen verlassen konnte, wenn man es mit menschlichen Beweggründen zu tun hatte. Zwar geschah das Unerwartete mit nahezu monotoner Regelmäßigkeit, aber das Vorausplanen führte zu einem Spiel mit dem Zufall, der alle Gewinnchancen hatte. Etwas überdrehte Feinde schrieben ihm übermenschliche Schlauheit zu. In Wirklichkeit wurden sie von ihrer eigenen Schlauheit hereingelegt.
    Er würde erst spät in Paris ankommen und konnte dann nichts mehr tun als sich ein Hotel suchen. Am andern Morgen würde er Durand in der Sûreté einen Besuch abstatten und dann mit Informationen bewaffnet auf einen Sprung zu Groom ins Ritz gehen. Bis dann waren Spekulationen nutzlos und gefährlich. Nach diesen Überlegungen stand er auf, leerte sein Glas und begab sich in den Speisewagen.
    Er setzte sich in eine Ecke des Wagens, von wo aus er die übrigen Essenden übersehen konnte, und bestellte eine Sole meunière mit einem leichten französischen Weißwein. Dann lehnte er sich bequem zurück und betrachtete die Mitreisenden.
    Der Zug fuhr jetzt schnell. Die schweren Fenstervorhänge bewegten sich im gedämpften Bernsteinlicht der Tische. Das Klappern der Bestecke und das Gläserklirren waren Hintergrundmusik zum rhythmischen Rollen der Räder. Warmer Zigarrenrauch hing in der Luft. Unwirklichkeit hing über der Szene. Man glaubte sich im Theater. 1. Akt. Wenn der Vorhang aufgeht, ist die Bühne leer. Im Kamin glüht ein Feuer. Eine einzelne Lampe wirft ein schwaches Licht auf die Szene. Die Ecken des Zimmers liegen im Dunkeln. Für einen Moment herrscht Schweigen, dann hört man die Stimmen von Leuten, die näher kommen. Nur war diese Bühne nicht leer, sondern gleich reihenweise voller Leute, aber das weitentfernte Gemurmel und die unsteten Bewegungen waren dieselben.
    Auf der andern Seite des Ganges, Carruthers gegenüber, versuchte ein dicker Mann erfolglos, gegen die Bewegungen des Zuges anzukommen und Suppe in seinen Mund zu löffeln. Neben ihm saß ein verschrumpelter kleiner Kerl, der aussah wie ein vereidigter Betriebsprüfer, und aß Austern, während er in der Times las. Ein Mann und eine Frau redeten, die Köpfe über den Tisch gebeugt, in einer Sprache miteinander, die sich wie Russisch anhörte. Eine ältliche Engländerin trank Tee. Lauter grundverschiedene Leute, aber sie hatten eines gemeinsam: sie aßen und tranken. Das beraubte sie ihrer Individualität. Im gedämpften Bernsteinlicht, beim Klappern der Teller und Bestecke, beim Klirren der Gläser sahen sie aus wie eine Gruppe von Tölpeln. Die kauenden Kinnbacken des hutzeligen Mannes, sein Ernst und seine Hingabe beim Essen, eine große Brotkrume auf der Oberlippe, gaben ihm das Aussehen eines zurückgebliebenen Kindes. Aber wenn man diese Leute aus ihrer Umgebung herausnähme, gäbe es wahrscheinlich über jeden eine andere Geschichte zu erzählen. Der Dicke war vielleicht ein Mörder auf der Flucht, der Verschrumpelte ein internationaler Juwelendieb, und der Mann und die Frau, die Russisch sprachen, waren vielleicht … In diesem Moment blickte die Frau auf, und Carruthers sah zum ersten Mal ihr
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