Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der dunkle Grenzbezirk

Der dunkle Grenzbezirk

Titel: Der dunkle Grenzbezirk
Autoren: Eric Ambler
Vom Netzwerk:
Gesicht.
    Es wird erzählt, daß Conway Carruthers von Department »Y«, ein Mann aus Stahl, kühl und sachlich, von den Gefühlen gewöhnlicher Sterblicher nicht berührt wurde. Aber dieser Conway Carruthers, der aus dem Heideland von Cornwall ins Leben getreten war und nur die Hülle einer Persönlichkeit und einen umgestürzten Wagen zurückgelassen hatte, empfand ein seltsames Gefühl, ein Verlangen, diese Frau um jeden Preis kennenzulernen.
    Sie hatte ein Gesicht, wie man es in den Werken der Umbrischen Schule findet. Ein blasses delikates Oval, die Backenknochen weich modelliert, die Augen dunkel und glänzend, das schwarze Haar aus der hohen weißen Stirne glatt zurückgekämmt. Doch was dem Gesicht Charakter verlieh, war der entschlossene Zug um den Mund. Die zartgeschwungenen vollen Lippen verstärkten noch die Schönheit des Gesichts.
    Sie war elegant und teuer gekleidet, und das dunkelbraune Reisekostüm bildete einen raffinierten Kontrast zu ihrer Blässe. Sie hatte die Ellbogen auf den Tisch gestützt, ihre kleinen feinen Hände gefaltet und bot ein Bild völliger Sicherheit und Selbstbeherrschung, während sie gelangweilt ihre Augen über die Mitreisenden schweifen ließ.
    Ein Blick aus diesen Augen traf Carruthers, der die Unbekannte gebannt betrachtet hatte. Dann wandte sie ihre Augen wieder ab und sprach weiter mit ihrem Tischgenossen. Kurz darauf verließen die beiden, ohne einen Bück in Carruthers Richtung, den Speisewagen. Als er in sein Abteil zurückging, spürte er ein seltsames Gefühl freudiger Erregung. Irgendwo, irgendwie würden sich ihre Wege wieder kreuzen, dessen war er sicher.
    Als der Zug eine Stunde später in die Gare du Nord einlief, schlief er fest.
     
    Am andern Morgen verließ er früh das Hotel und begab sich in die Sûreté. {*}
    Es war ein klarer, sonniger Frühlingsmorgen, und als Carruthers den Quai d’Orsay hinunterschlenderte, wünschte er, daß seine Geschäfte nicht ganz so dringlich wären, so daß er noch ein wenig in Paris hätte bleiben können, um die Jahreszeit zu genießen. Viel zu früh stand er vor dem schönen Gebäude, das Frankreichs Scotland Yard beherbergt.
    Er ging hinein, betrat das nächstliegende Büro und fragte den agent de police in munterem Ton nach Monsieur Durand.
    »Monsieur Durand?« fragte der Polizist. »Wir haben hier vier Herren dieses Namens. Welchen möchten Sie denn sprechen?«
    Carruthers war verblüfft. Vier Durands? Das war ihm völlig neu. Er hatte doch immer nach seinem Freund Durand gefragt, und Durand war erschienen. Über das ganze Gesicht strahlend hatte er seine Arme ausgebreitet, »mein lieber Carruthers« gesagt und ihn auf beide Wangen geküßt. Was war geschehen?
    Er versuchte es nochmals. Er erklärte dem immer mißtrauischer werdenden agent , daß er seinen Freund, den großen Durand, wiedersehen wolle, den Durand der tausend tollkühnen Abenteuer, den Durand, den Frankreich mit der Rosette der Ehrenlegion ausgezeichnet hatte, den berühmten Chef de la Sûreté.
    Der agent erlaubte sich ein Grinsen. Da hatte er es wieder einmal mit einem Spinner zu tun. Mit dem würde er sich einen Scherz erlauben.
    Mit steifer Amtsmiene fragte er: »Wen darf ich melden, bitte?«
    Carruthers nannte seinen Namen.
    Der Polizist hob den Hörer des Telefons ab.
    »Chef de la Sûreté« , verlangte er in affektiertem Ton. Dann: »Monsieur Conway Carruthers möchte Sie sprechen, Monsieur Durand.«
    Carruthers wartete zuversichtlich.
    Der agent legte den Hörer auf und drehte sich mit grenzenlosem Erstaunen zu ihm um.
    »Monsieur Durand bedauert, Sie nicht empfangen zu können«, sagte er dann und schüttelte mitfühlend den Kopf.
    »Aber …« begann Carruthers.
    »Monsieur kann Sie nicht empfangen«, wiederholte der agent scharf. Es war ein guter Witz gewesen, aber jetzt reichte es.
    Carruthers protestierte. Das war absurd. Sein guter Freund Durand hatte ihn doch jedesmal empfangen. Er hatte sicher den Namen nicht richtig verstanden. Es war ganz einfach unvorstellbar, daß er Conway Carruthers nicht sehen wollte. Conway Carruthers, der ihn so oft aus hoffnungslosen Situationen gerettet hatte, Carruthers, der ihm so manchen guten Fang ermöglicht hatte. Es war undenkbar.
    Der Polizist wurde ärgerlich. Wenn Monsieur nicht unverzüglich gehe, würde Monsieur gegangen, und das würde er höchstpersönlich vornehmen.
    Carruthers drehte sich um und ging.
    Es war also wahr. Durand, sein guter Freund Durand, dem er so oft geholfen hatte, weigerte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher