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Der Duft von Tee

Der Duft von Tee

Titel: Der Duft von Tee
Autoren: Hannah Tunnicliffe
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Anteil. Ich habe das Gefühl, nun endlich zu verstehen, wie Familienliebe ist: Sie ist kompliziert, kann wehtun und ist doch wundervoll. Niemals perfekt. Eine ewige Liebe. Ich fühle mich seltsam leicht, wie eine Macaron-Schale, die beim Backen aufgeht.
    Pete stöhnt, als er sich aufsetzt. Sein Körper ist gealtert, seit wir aus den Flitterwochen zurückgekommen sind, aber noch immer vertraut. Seine Haut riecht noch genauso wie früher. Seine Augen haben noch immer dieselbe grüngoldene Farbe wie damals, als ich auf Bali »Ich will« gesagt habe. Er reibt sich das Gesicht, sein Geist ist noch in der Traumwelt. Er blinzelt mich an, wie ich ihn vom Ende des Betts aus anstarre. Ich schiebe ihm die Schachtel mit den Briefen durch die Wellen und Täler der Bettdecke zu. Seine Finger greifen danach. Dann beginne ich langsam zu erzählen. Von Jahren ungesagter Dinge.
    Ein paar Tage später stehe ich hinter dem Lillian’s. Die Sonne ist noch nicht richtig aufgegangen. Ich habe Gigi angerufen, damit sie mir hilft, obwohl ich nicht sicher bin, wobei. Vielleicht weil ich weiß, dass auch ihre Mutter es ihr nicht leicht macht, sie zu lieben. Oder weil ich Faiths süßes Gesicht sehen möchte, wenn alles vorbei ist. Pete schaut uns an, als Gigi und ich nebeneinanderstehen. Auch er hat so neben mir gestanden, vor dem kleinen, von der Gemeinde aufgestellten Grabstein in England. Er war armselig, schlicht, passte so gar nicht zu Mama.
    Ich war wie betäubt damals, als ich ihr Grab gesehen habe und zu Pete und allen anderen, die mir vielleicht zu nahe kommen konnten, auf Abstand gegangen bin. Ich war damals nicht bereit, sie ziehen zu lassen.
    »Bist du dir sicher?« Gigi sieht besorgt aus.
    Ich grabe jetzt in dem kleinen Fleck Erde hinter der Küche, der Boden ist voller Glas und Metall. Wenn der Spaten den Boden durchschneidet, ertönt jedes Mal ein silberhelles Scheppern, und wir stoßen auf etwas Unerwartetes. Pete stapelt Tsingtao-Flaschen, verbogene Gabeln und die schiefen Speichen eines Fahrrads neben dem Loch. Seine Miene ist düster, als würde auch er sich Sorgen um mich machen.
    »Ich muss das tun.« Meine Stimme schallt über die frische Erde und den Müll. Sie nicken und räumen weiter alles beiseite, was ich zutage fördere. Schließlich stehen wir vor einem Loch von einem Meter Tiefe und einem halben Meter Breite in der Form eines zerquetschten Ovals. Unsere drei Köpfe beugen sich darüber; Pete wischt sich den Schmutz von den Händen.
    »Und jetzt?«
    »Jetzt holen wir den Kassettenrecorder raus«, ordne ich an.
    Es war nicht leicht, einen aufzutreiben. In diesem Teil der Welt ist ein solches Gerät so antiquiert wie ein Grammophon. Gigi eilt hinein und klopft kurz darauf an das Küchenfenster.
    »Das Kabel reicht nicht weiter.« Sie hält den Kassettenrecorder hoch, um es uns zu zeigen. Dann stellt sie ihn etwas wackelig auf das Fensterbrett.
    »Das ist okay, das reicht.«
    Gigi bleibt unsicher in der Tür stehen. Ich starre in das leere Loch.
    Pete nimmt mir den Spaten aus der Hand und gibt mir die Plastiktüte. Er lehnt den Spaten an die Küchenwand und legt mir seine breite Hand auf den Rücken. Mach weiter , scheint er damit sagen zu wollen. Es dauert einen Moment, bis ich die Worte finde, dann strömen sie nur so aus mir heraus, purzeln übereinander.
    »Liebste Mama …« Ich huste, um den unsichtbaren Würgegriff um meine Kehle abzuschütteln. »Dies ist mein letzter Brief.«
    Ich spüre das Gewicht der Tüte in meiner Hand, und mir fällt wieder ein, dass Pete sie mir gerade gegeben hat.
    »Heute ziehen wir weiter, du und ich.«
    Endlich erwacht der Kassettenrecorder zum Leben, und Edith Piafs unerschrockene, bewegende Stimme erfüllt den kleinen Hof. Ich höre, wie Gigi tief einatmet. Das Lied berührt selbst Menschen, die es noch nie gehört haben. Mama hätte darüber gelächelt.
    »Ich möchte, dass du weißt, wie traurig ich bin, dass ich dich im Stich gelassen habe. Ich habe nie verstanden, wie du warst, was du warst. Ich war jung – ich brauchte meine Freiheit. Ich habe es nicht gewusst …« Ich halte inne. »Ich habe dich verlassen.«
    Pete greift nach meiner Hand und drückt sie.
    »Aber Mama, ich habe dich nie vergessen. Dieser Ort ist dir gewidmet. Er ist nach dir benannt und genau das, was du dir gewünscht hättest. Voller herrlicher Dinge. Macarons, Tee, Liebe und wunderbarer Menschen. Ich möchte, dass du hier immer einen Platz hast, ganz egal, wo du jetzt bist. Deshalb lasse ich einige
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