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Der Duft des Sommers

Der Duft des Sommers

Titel: Der Duft des Sommers
Autoren: Joyce Maynard
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wünschte sie sich nämlich ein Kind.
    Und dann warst du unterwegs, sagte sie. Mein Traum wurde wahr.
    Mein Vater bekam den Job als Versicherungsvertreter. Er spezialisierte sich auf Invalidität und Berufsunfähigkeit. Niemand konnte schneller als mein Vater ausrechnen, wie viel Geld jemand bekommen würde, der einen Arm oder einen Arm und ein Bein oder beide Beine oder im übelsten Falle alle vier Gliedmaßen verlor und vorher schlau genug gewesen war, eine Versicherung von ihm zu kaufen. Der Betreffende war dann womöglich Millionär und hatte fürs Leben ausgesorgt.
    Meine Mutter blieb unterdessen mit mir zuhause. Sie wohnten damals bei der Mutter meines Vaters. Nach deren Tod erbten sie das Haus, aber da wohnten jetzt nicht meine Mutter und ich drin, sondern mein Vater mit Marjorie, Richard und Chloe. Mein Vater nahm eine zweite Hypothek auf das Haus auf, um meine Mutter auszubezahlen, und sie kaufte mit dieser Summe das Haus, in dem wir beide
jetzt wohnten. Es war kleiner, und im Garten gab es keinen Baum mehr für meine Schaukel, aber es war groß genug für die Familie, wie sie jetzt war, für uns beide.
    Diese Geschichten bekam ich jedoch nicht von meiner Mutter zu hören. Die hatte ich mir selbst zusammengereimt, aus Sätzen, die ich an den Samstagabenden mit meinem Vater aufgeschnappt hatte, wie zum Beispiel: wenn ich deiner Mutter nicht das ganze Geld für das Haus hätte geben müssen. Oder wenn Marjorie die Lippen zusammenpresste und mich dann fragte, ob meine Mutter sich inzwischen irgendwo nach einem normalen Job umgesehen hätte.
    Meine Mutter hatte das Problem mit dem Zuhausebleiben jetzt schon so lange, dass ich mich nicht einmal mehr daran erinnern konnte, wann es angefangen hatte. Ich wusste nur, dass sie es nicht für eine gute Idee hielt, in die Welt rauszugehen.
    Es ist wegen der Babys, sagte sie. Überall sind diese heulenden Babys und diese Mütter, die ihnen Schnuller in den Mund stopfen. Dann erwähnte sie auch noch das Wetter und den Verkehr und die Atomkraftwerke und die Strahlungen von Starkstromleitungen. Aber die Babys und deren Mütter machten ihr am meisten zu schaffen.
    Die kümmern sich gar nicht um ihre Kinder, sagte sie. Als bestünde die größte Leistung darin, Kinder auf die Welt zu bringen, und dann müsse man das Ganze nur irgendwie durchstehen, indem man die Kinder mit Limonade vollschüttete und sie vor Videos setzte (die kamen damals gerade in Mode). Redet denn heutzutage keiner mehr mit seinen Kindern?, fragte meine Mutter.

    Nun, sie tat es. Zu viel, für meine Begriffe. Sie war jetzt immer zuhause. Und sie hatte kein Interesse daran, irgendjemanden zu sehen außer mir, sagte sie.

    Anfangs fuhren wir manchmal noch zu irgendwelchen Geschäften, aber dann blieb meine Mutter immer im Wagen und schickte mich zum Einkaufen. Oder sie sagte, weshalb sollen wir einkaufen fahren, wenn wir auch bei Sears bestellen können? Falls wir dann wirklich mal im Supermarkt waren, kaufte sie riesige Mengen Campbell’s-Suppe, Fischfertiggerichte, Erdnussbutter und tiefgefrorene Waffeln, und es kam mir vor, als lebten wir in einem Bunker. Sears hatte die Tiefkühltruhe schon geliefert, und die wurde dann angefüllt mit Fertiggerichten. Wir hatten so viele Vorräte zuhause, dass wir uns im Falle eines Hurrikans wochenlang hätten ernähren können. Trockenmilch war ohnehin besser für mich, fand meine Mutter. Weniger fett. Ihre Eltern hatten beide einen zu hohen Cholesterinspiegel gehabt und waren jung gestorben. Da musste man ein Auge drauf haben.
    Dann fing sie an, wirklich alles über Kataloge zu bestellen, sogar Unterwäsche oder Socken – das war noch in der Zeit vor dem Internet –, und ließ sich darüber aus, dass der Verkehr in der Stadt so zugenommen habe und dass man ohnehin nicht mehr Auto fahren solle, weil es die Umwelt noch mehr verschmutze. Ich schlug vor, dass wir uns einen Motorroller kauften. In einer Fernsehshow hatte ich mal einen gesehen, und ich stellte es mir lustig vor, wie wir
zwei damit durch die Stadt brausten und unsere Besorgungen erledigten.
    Wie viele Dinge hat man denn überhaupt zu erledigen?, sagte sie darauf. Wenn man sich das mal recht überlegt, vergeudet man mit dieser Herumfahrerei doch nur Zeit, die man auch gut zuhause verbringen könnte.
    Eine Weile versuchte ich noch, sie aus dem Haus zu locken. Lass uns doch zum Bowlen gehen, sagte ich. Minigolf spielen. Ins Naturkundemuseum. Ich überlegte, was ihr vielleicht gefallen könnte: ein
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