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Der Duft des Sommers

Der Duft des Sommers

Titel: Der Duft des Sommers
Autoren: Joyce Maynard
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der gerade bei uns im Wohnzimmer saß. So ginge es wahrscheinlich dieser Rachel, wenn sie bei uns zu Besuch wäre – eine völlige Unmöglichkeit – und sich eine Wiederholung von Gilligans Insel ansähe, und dann käme meine Mutter mit einem Teller Kekse herein und Rachel würde sie immer noch für diese Schauspielerin halten.
    »Wir haben eine Berühmtheit in unserer Mitte«, hatte Marjorie gesagt, als sie und mein Vater mir nach meinem Auftritt als Rip Van Winkle einen Eisbecher spendierten. Aber diesmal war es wirklich so.
    Jetzt wurde der Leiter der Highway Patrol interviewt, der sagte, dass der Entflohene im Shoppingcenter gesehen worden sei. Es hieß, Frank sei gefährlich und möglicherweise
bewaffnet, obwohl wir ja wussten, dass das nicht stimmte. Ich hatte ihn schon gefragt, ob er eine Knarre bei sich hatte, und war enttäuscht gewesen, als er die Frage verneinte.
    Sollten Sie diesen Mann sehen, melden Sie das bitte sofort der Polizei, sagte die Moderatorin. Dann erschien eine Telefonnummer auf dem Bildschirm. Meine Mutter schrieb sie nicht auf.
    Offenbar hatte Frank die Blinddarmoperation erst gestern gehabt. Sie berichteten, er habe die Krankenschwester gefesselt, die auf ihn aufpassen sollte, und sei aus dem Fenster gesprungen. Diesen Teil der Geschichte kannten wir ja schon, und wir wussten auch, dass er ihre Fesseln gelockert hatte, bevor er aus dem Fenster sprang. Jetzt war die Krankenschwester zu sehen, die sagte, der Mann habe sich ihr gegenüber immer rücksichtsvoll verhalten. Ein guter Patient, auch wenn es sie natürlich schockiert hatte, dass er sie fesselte. Meine Mutter fand es wahrscheinlich vertrauenerweckend, dass Frank uns dieselbe Geschichte erzählt hatte.
    Und dann sagten sie auch noch, weshalb er im Gefängnis gewesen war. Mord.
    Bis zu diesem Moment hatte Frank geschwiegen. Wir schauten einfach nur fern, als liefe irgendeine Talkshow. Aber als sie das über den Mord sagten, begann diese Stelle an seinem Kiefer zu zucken.
    Die sagen einem nie die Einzelheiten, sagte er. Es war nicht so, wie es sich hier anhört.
    Im Fernseher wurde jetzt das normale Programm fortgesetzt. Eine Wiederholung von Happy Days.

    Adele, ich muss Sie darum bitten, dass ich noch eine Weile hierbleiben kann, sagte Frank. Sie suchen sämtliche Straßen, Züge und Busse ab. Die rechnen mit allem, nur mit einem nicht: dass ich immer noch hier in der Gegend bin.
    Es war nicht meine Mutter, die diesen Punkt zur Sprache brachte. Ich tat es. Es war mir unangenehm, weil ich Frank mochte und ihn nicht ärgern wollte, aber ich fand, dass jemand darüber sprechen musste.
    Ist es nicht gegen das Gesetz, einen Kriminellen bei sich aufzunehmen?, fragte ich. So hatte ich es im Fernsehen gelernt. Dann fühlte ich mich schlecht, weil ich dieses Wort benutzt hatte. Obwohl wir Frank zu diesem Zeitpunkt noch kaum kannten, kam es mir gemein vor, jemanden als Kriminellen zu bezeichnen, der mir ein Rätselbuch gekauft hatte und im ganzen Haus die neuen Glühbirnen anbringen wollte. Er hatte auch die Farbe der Küchenwände gelobt, die meine Mutter ausgesucht hatte: einen ganz bestimmten Gelbton, der Frank an die Butterblumen erinnerte, die in seiner Kindheit im Garten der Farm seiner Großmutter gewachsen waren. Und er hatte uns versprochen, Chili für uns zu kochen, und zwar das beste, das wir je gegessen hatten.
    Sie haben da einen sehr vernünftigen Jungen, Adele, sagte Frank. Gut zu wissen, dass er Sie beschützt. Das sollte jeder Junge für seine Mutter tun.
    Es wäre nur ein Problem, wenn jemand Frank hier finden würde, sagte meine Mutter. Solange niemand weiß, dass er hier ist, kann nichts passieren.

    Den Rest kannte ich. Meine Mutter scherte sich nicht um Gesetze. Sie ging zwar auch nicht zur Kirche, sagte aber immer, dass Gott derjenige sei, der uns beschütze.
    Das stimmt, sagte Frank. Aber es ist trotzdem nicht in Ordnung, dass ich Sie und Ihre Familie in Gefahr bringe.
    Unsere Familie. Er betrachtete uns als Familie.
    Deshalb werde ich Sie lieber festbinden, sagte er. Nur Sie, Adele. Henry hier möchte ja nicht, dass seiner Mutter etwas Unangenehmes widerfährt. Deshalb wird er auch nicht die Polizei holen oder jemanden anrufen, nicht wahr, Henry?
    Meine Mutter saß ganz reglos auf der Couch, als sie das hörte. Eine Weile schwiegen wir alle. Wir hörten Joes Hamsterrad scharren, als er darin herumlief, das Klacken seiner kleinen Krallen auf dem Metall und in der Küche auf dem Herd das Zischen des Wassers für unser
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