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Der Duft des Anderen

Der Duft des Anderen

Titel: Der Duft des Anderen
Autoren: Jutta Ahrens
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Hundeaugen sahen andächtig unter hängenden Lidern hervor. Die beiden jüngeren Männer neben ihm, Studenten vielleicht oder Angestellte, die Mittagspause machten, veränderten unwillkürlich ihre Körperhaltung, streckten ihre Beine in den Gang, auch die anderen verfielen wie unbeabsichtigt in die Körpersprache. Das Pärchen am Nachbartisch, kurz rasiert, Ringe in den Ohren, riskierte flüchtige Blicke. Der neue Besucher war eine Sünde wert. Selbst die beiden jungen Frauen, die mit den Rücken zur Wand saßen und turtelten, stießen sich an, obwohl männliche Wesen in ihrem Leben nicht die herkömmliche Rolle spielten.
    Unberührt von der Aufmerksamkeit, die ihm zuteilwurde, ging der engelhafte Besucher an den Tischen vorüber, nur Toni, der junge Mann am Kuchentresen, durfte sich rühmen, ein Lächeln von ihm zu erhalten. »Hallo«, sagte er und nickte ihm zu.
    Der Schöne nickte zurück, er lächelte nicht. Toni musterte ihn rasch und mit Kennermiene. Dunkles, über der Stirn gescheiteltes Haar umrahmte ein apart geschnittenes Gesicht mit hohen Wangenknochen. Die sinnlichen Lippen und schön geschwungenen Brauen gaben ihm etwas Androgynes. Er hatte verträumte, dunkelbraune Augen und olivfarbene Haut.
Irgendwas Südländisches
, überlegte Toni.
Italien? Balkan? Oder sogar arabischer Einfluss?
Kleidung eher unauffällig: hautenge Jeans, darüber ein weit geschnittenes Hemd. Toni bemerkte, dass der schöne Fremde nervös an den Knöpfen nestelte, als er sich bückte, um einen Blick auf die Kuchen in der Glasvitrine zu werfen.
Etwas unsicher, der Junge
, dachte Toni.
Vielleicht hat er sich gerade erst geoutet oder hat es noch vor sich. Bewegt sich nicht, als würde er öfter in Schwulencafés verkehren.
    »Die Pfirsichtorte ist heute besonders gut.«
    Der schöne Besucher sah Toni an. »Ja? Dann nehme ich sie.« Sein Lächeln kam zögernd. Er ging in den rückwärtigen Raum des Cafés, wo er sich vorsichtig umsah. An den ungestrichenen Wänden hingen großformatige Ölbilder mit traurigen Frauen in traurigen Farben, hingehuscht mit breiten, flüchtigen Pinselstrichen. Er warf einen Blick auf das DIN-A4-Blatt neben der Tür, wo zu lesen stand, dass die Künstlerin bereits in Ungarn und der Tschechei ausgestellt hatte und dass die Bilder zu kaufen waren, ab achthundert Mark aufwärts. Der junge Mann lächelte flüchtig und setzte sich an einen leeren Tisch links neben der Tür.
    Zwei Stunden später saß er immer noch dort. Er hatte unter den ausliegenden Zeitschriften gewählt. Inzwischen war es voller geworden. Toni schlängelte sich mit einem Tablett dicht an ihm vorbei und versuchte, ihn durch Blickkontakt daran zu erinnern, dass er immer noch vor dem erkalteten Rest seines ersten Milchkaffees saß, doch der schöne Gast schien von seiner Gazette ungemein gefesselt; Tonis umwölkter Blick verpuffte. Auf dem Rückweg streifte Toni den Mann kaum merklich am Ärmel. »Noch einen Kaffee?«, fragte er freundlich.
    Der junge Mann ließ die Zeitung hastig sinken, als sei er bei etwas ertappt worden. »Ja, gerne.«
    Mein Gott
, dachte Toni,
der wird ja noch rot.
Er winkte zwei Gästen, die sich nach einem freien Platz umsahen. »Hier ist noch frei.«
    Später vergaß Toni den neuen Besucher. Das Café war voll, es gab viel zu tun. Er fiel ihm erst wieder auf, als dieser das Café verließ. Ein schüchternes Lächeln, ein kaum hörbares »Wiedersehen.« Toni sah auf die Uhr. Sechs Stunden hatte der Mann im Café verbracht.

3
    Inge Lorenzen sah vom Bildschirm auf und schob ihre Brille auf die Nasenspitze. Darüber hinweg fixierten ihre blassblauen, leicht hervorquellenden Augen den hochgewachsenen blonden Mann, der in der Tür stand und ihr ein jungenhaftes Lächeln schenkte. »Einen wunderschönen guten Morgen, Frau Lorenzen!«
    Inge Lorenzen, eine flotte Mittdreißigerin und unentbehrliche rechte und manchmal auch linke Hand von Professor Alexander Kirch, schob die Brille wieder hoch und lächelte säuerlich. »Guten Tag Herr von Stein.«
    Sie duzte sich mit allen Kollegen, nur Dr. Joachim von Stein, Spezialist auf dem Gebiet der Molekular- und Radiochemie, blieb distanziert. Ärgerlich, denn er war der bestaussehende Mann im Betrieb. Jedenfalls fand das Inge Lorenzen, daneben gab es Kolleginnen, die den Preis ihrem Chef, Professor Kirch, verliehen hätten.
Geschmackssache
, dachte Inge,
auf alle Fälle ist Steinchen liebenswürdiger
. Kirch – sein Spitzname war Dompfaff, vielleicht, weil man von Kirche auf Dom
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