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Der Duft des Anderen

Der Duft des Anderen

Titel: Der Duft des Anderen
Autoren: Jutta Ahrens
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eine alte Stehlampe mit Fransen. Es gab einen Kamin, der nur brannte, wenn ihr Vater zu Hause war, weil ihre Mutter Vaters Zimmer nur ungern betrat.
    Staubfänger nannte sie Vaters Sammelsurium aus herrlichen alten und geheimnisvollen Sachen. Und die Vielfalt nannte sie Unordnung. Weil sie an diese Unordnung nicht rühren durfte und deshalb auch nicht Staub wischen konnte, saugte sie nur kurz den chinesischen Teppich, wedelte einmal über die Buchrücken und machte fast immer Bemerkungen wie: Das liest doch keiner. Wann soll dein Vater das denn lesen?
    Es stimmte, Barbaras Vater hatte wenig Muße, sein Reich zu genießen, dafür machte Barbara es zu ihrem eigenen. Während das Haus dank Mutters Tüchtigkeit vor Sauberkeit blitzte, saß sie unter der Stehlampe, blies etwas Staub von einem alten Pergament oder einer Skulptur und versank in die Erinnerungen, die an diesen Stücken hingen. Ihre Mutter ließ sie gewähren, schüttelte aber jedes Mal den Kopf. Sie fand diese Umgebung für ein junges Mädchen unpassend. Die Modejournale der Mutter, ihre Kosmetika, das alles ließ Barbara kalt. Sie nahm gern einen der Speere von der Wand oder wog einen Türkensäbel in der Hand. Wie gut sich das anfühlte! Ihre Mutter meinte nur, Barbara solle mit dem Indianerspielen aufhören.
    Schon früh hatte Barbara sich auf dem Boden ein Atelier eingerichtet. Brotlose Kunst, befand die Mutter, aber als Barbara verkündete, sie wolle zur Kunstakademie, versöhnte das die Mutter etwas. Wer eine Akademie besucht hat, der kann es zu etwas bringen, selbst in der Kunst. Leider entwickelte sich Barbara auch hier nicht so, wie Gesellschaft, Zeitgeist und Mutter es gern gesehen hätten. Sie entwickelte eine Vorliebe für männliche Akte, Michelangelo verehrte sie. Während ihre Mitschüler durch die Klassik hindurchgeführt wurden zur Moderne, verweilte Barbara dort. Sie konnte Abstraktionen nichts abgewinnen, die meisten zeitgenössischen Maler waren ihr ein Graus. Die Debatten, die sie deswegen mit ihrem Professor hatte, endeten in einem Zerwürfnis. »Sie haben ein so großes Talent, Barbara! Weshalb malen Sie bloß ständig das, was Sie sehen? Sind Sie denn gar nicht vom Geist unserer Zeit erfüllt?«
    Barbara war es nicht, ihr Gefühl lebte in einer Zeit, wo der Pinsel den Dingen noch eine Seele verliehen hatte, bis die Fotografie realistische Malerei überflüssig machte und die Seele plötzlich in Tapetenmustern geortet wurde. Sicher hatte ihr Professor in einer Hinsicht recht: Ihre Motive waren schrecklich: Blumen, Heidelandschaften, röhrende Hirsche auf der Lichtung. Auf diese Weise drückte Barbara ihren Protest gegen die barbarisch abstrakten Strich- und Farbanhäufungen der Zeitgenössischen aus. Was wirklich in ihr schlummerte, malte sie manchmal heimlich auf dem Dachboden, aber immer hastig und heimlich, denn sie durfte nicht zusperren. Das hätte ein Theater gegeben. Ihre Mutter hätte wahrscheinlich geglaubt, Barbara rauche Haschisch oder treibe Selbstbefriedigung.
    Barbara tat beides. Neben dem Malen.
    Monate nach dem Tode ihrer Eltern, an irgendeinem Tag auf dem Dachboden, als die Freiheit über sie gekommen war wie ein Rausch, da begriff sie, dass sie nicht nur malen durfte, was sie wollte. Sie durfte leben, wie sie wollte, und wie, das war ihr schon immer klar. Sie wollte als Mann leben.
    Tag für Tag spann sie diesen Gedanken fort. Zuerst verwarf sie ihn als unmöglich, dann dachte sie sich kleine Szenen aus, wie sie als Mann verkleidet in ein Geschäft ging. In einen Tabakladen oder in eine Herrenboutique. Doch diese gedanklichen Ausflüge langweilten sie, waren nicht ihre Männerwelt.
    Dann stellte sie sich vor, sie sitze in einer Bar, war einfach so hinaufgeklettert auf den Barhocker, kein blödes Grinsen von rechts und links, keine Anmache, und hinter der Bar eine vollbusige Blondine, und sie würde zu ihr sagen: ›Na, schönes Kind, heute schon was vor?‹ Typisch männlich, aber ebenfalls nichts für sie. Frauen waren für sie genauso erotisch wie Kaffeemaschinen, und auch sonst fand Barbara sie langweilig. Ihr Frauenbild war nun einmal geprägt von ihrer Mutter und deren Freundinnen.
    Barbara mochte Männer. Das war bei ihr nicht anders als bei anderen Frauen. Sie mochte Männer, aber sie wollte keine Frau sein, sie konnte keine Frau sein. Jeder Tag begann mit dieser Last, und ihre neue Freiheit war nichts wert, wenn sie nicht gleichzeitig ihr Frausein abwerfen konnte.
    Mann sein und Männer lieben! Weshalb war sie
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