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Der Duft der Pfirsichblüte - eine Australien-Saga

Der Duft der Pfirsichblüte - eine Australien-Saga

Titel: Der Duft der Pfirsichblüte - eine Australien-Saga
Autoren: Rütten & Loening Verlag <Potsdam>
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– seit vielen Jahren schon. Niemals sprach die Mutter über ihren Vater, schwieg beharrlich auf alle Fragen und Bitten. Trotzdem hatte er sich in Penelopes Gedankenwelt geschlichen undwar bei ihr, wenn sie sich nach einem starken Arm sehnte. In Penelopes Vorstellung war ihr Vater ein kluger Doktor, dessen Hände nur Gutes vollbrachten. Keine Schandtaten wie die Mutter. Was würde er jetzt tun? Er würde ihr diese Stäbchen gewiss entreißen und vernichten …
    »Du wirst es noch weit bringen, Penelope MacFadden, wenn du so weitermachst«, brummte Mary, und der Gedanke an den Vater löste sich. Kindlicher Trotz stellte sich bei Penelope ein.
    Ja, das werde ich!, dachte sie. Ganz friedlich würden bald ihre Häkelarbeiten auf dem Tisch im weißen Salon liegen! Eine neben der anderen: feine Krägen, Ärmelbesätze, kurze Borten und der Schal – alles, was die Lady sich wünschte. Arbeiten in glatter, reiner Unschuld, ausschließlich zur Freude eines Menschen entstanden. Kein Blut, keine Not, keine Armut. Sie würde nur Dinge herstellen, die Freude bereiteten. Penelope atmete tief durch. Dieser Gedanke fühlte sich gut an. Das Haus 28 brachte lauter neue Dinge für sie – gutes Essen, einen aufrechten Gang, mutige Gedanken … Sie lächelte hinter dem Rücken der Mutter fast ein wenig triumphierend. Die Mutter würde noch staunen.
    Prudy und Emily begleiteten sie jeden Morgen mit Spottrufen zur Kirche, wo sich ihre Wege trennten.
    »Unterhosennäherin!«, riefen sie ihr hinterher, »Unterhosennäherin!« Weil das so lustig klang, gesellten sich die schmierigen Straßenjungs dazu, ohne genau zu wissen, wen man hier verhöhnte, aber das machte ja nichts. Penelope hatte lange genug unter ihnen gelebt, um zu wissen, dass sie keinen Grund brauchten.
    Sie waren verlauste, abgemagerte Hungerhaken, die in Stallecken schliefen und sich mit den Hunden um Abfällebalgten. Die meisten von ihnen lebten ohne Eltern. Hatten die Büttel zehn von ihnen aus der Gosse geklaubt, windelweich geprügelt und ins Arbeitshaus geschafft, waren am nächsten Tag zehn neue da, um zu grölen, zu stehlen und die Kutscher durch ihre Frechheit zur Weißglut zu bringen. Manche von ihnen teilten sich das Schlaflager bei angeblich wohlmeinenden Leuten. Doch den Luxus bezahlten sie teuer, weil sie oft für diese Leute stehlen mussten und nichts davon behalten durften. Erst vergangene Woche hatten sie einen dieser Jungen draußen bei Seven Sisters aufgeknüpft, nachdem er beim Stehlen einer Kartoffel erwischt worden war. Die Leute in Southwark fanden die Strafe in Ordnung – einer weniger, der ihnen beim Kaufmann von hinten in die Tasche langte, einer weniger, der ihnen morgens vor die Tür kackte.
    Als ein Brocken Erde Penelope am Rücken traf, drehte sie sich wütend um.
    »Der Galgen ist viel zu gut für euch Fliegendreck! Aufs Schiff muss man euch stecken, alle miteinander! Dort könnt ihr dann im Takt der Wellen verrecken!« Das war eine Redensart, die viele Leute benutzten. Ob es wirklich so war, dass man im Takt der Wellen verreckte, wusste allerdings niemand, diese Schiffe brachten ja keinen zurück. Aber es war eine der stärksten Verwünschungen, die sie kannte.
    Doch diese widerlichen kleinen Kerle lachten nur, einer schwenkte seine Mütze. »Ja ja, Unterhosennäherin, geh selber aufs Schiff und stopf dem Kapitän die Unterhose!«
    »Der wird sich freuen!«, rief der Größte von ihnen. Er formte mit seinen Händen einen riesigen Schwanz und vollführte damit eindeutige Bewegungen …
     
    Es war der Neid, der ihr jeden Heimweg zur Hölle machte. Und der das Haus 28 in immer rosigerem Licht erscheinen ließ. Wärme, gutes Essen, schöne Arbeit – bald liebte sie das Gefühl, das sich einstellte, wenn das weiße Eckhaus in Sicht kam und der fröhliche Lärm des Reichtums an ihre Ohren drang. Dann ließ sie Schmutz und jenen süßlichen Gestank nach ungewaschenen Kleidern, der ihr jeden Morgen über die London Bridge zu folgen versuchte, für einen ganzen Tag hinter sich. Abends war der Gestank dann wieder da, empfing sie an der Vaughn Lane, wo sie in Pferdemist und Unrat versank, wenn sie die Straßenseite wechselte, um durch den Hinterhof an Lous Verschlag vorbei nach Hause zu gelangen. Der Gestank blieb allgegenwärtig, denn er drang ja auch durch die schimmelnden Wände und saß in den klammen Decken, und er biss sie am Morgen mit eiskaltem Waschwasser ins Gesicht.
    Der Neid war sein Bruder.

2. Kapitel

    O how feeble is man’s
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