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Der Duft der grünen Papaya

Der Duft der grünen Papaya

Titel: Der Duft der grünen Papaya
Autoren: Sarah Benedict
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Grey’s wollen, meinte ich. Das erste Hotel in Apia. Sie sehen aus, als würden Sie dort logieren wollen.«
    Evelyn konnte sich nicht vorstellen, dass die weiblichen Gäste des ersten Hotels am Ort allesamt übernächtigt, verheult und angetrunken aussahen, denn das war sie an diesem späten Vormittag. Sie hatte von den letzten neunundzwanzig Stunden vielleicht vier geschlafen. Und fünf geweint, jene fünf in Sydney, wo sie sich vor den Blicken der Leute verbergen konnte und in einer Flughafenlounge zwei Martinis getrunken hatte. Angesichts ihrer Verfassung waren zwei Cocktails geradezu lächerlich wenig gewesen, aber sie hatten fürs Erste beruhigt.
    Das Kompliment des Taxifahrers bezog sich wohl ausschließlich auf ihre Kleidung. Sie hatte zwar in Windeseile gepackt, unbewusst aber eines ihrer schönsten Stücke angezogen,
ein hellblaues Kostüm, das besonders gut zu ihren blonden Haaren und graublauen Augen passte. Auch ihr blasser Teint bot sich für leuchtende, helle Farben an. Sie sind ein Frühlingstyp, hatte eine Kosmetikerin Evelyns Aussehen vor einigen Jahren zusammengefasst. Heute fühlte sie sich eher wie der Typ »Spätherbst«.
    »Warum nicht?«, sagte sie schulterzuckend. Sie hatte kein Zimmer reserviert, und es war schwül und windstill, ein Klima, in dem man sich nicht wünscht, einen Koffer durch ein Gewirr von Gassen zu schleppen. Vermutlich war es das Beste, sich der Obhut eines Taxifahrers anzuvertrauen.
    Die Fahrt im offenen Wagen entlang der Hafenstraße war erholsam, vorbei an einer blitzsauberen Holzkathedrale und einem Glockenturm. Vor einigen Regierungsgebäuden hing die samoanische Flagge schlapp an riesigen Fahnenmasten herunter. Apia war nicht das, was man sich in Deutschland unter einer Hauptstadt vorstellte, es war klein und wenig geschäftig. Einige Radfahrer kreuzten die Fahrbahn. Ein paar Frauen erledigten Einkäufe auf dem Fischmarkt, begleitet von Kindern, die zwischen den Ständen Versteck spielten, während die Männer hinter dem Steuer rostiger Lieferwagen mit Getriebeproblemen saßen, die Radios mit Südseemusik laut aufgedreht, und noch rostigere Gegenstände von A nach B fuhren. Die meisten Leute unterhielten sich einfach miteinander und lachten in einer Weise, als sei es ihre liebste und häufigste Beschäftigung.
    Neidisch blickte Evelyn auf diese freudetrunkenen Menschen.
     
    Das Aggie Grey’s lag an der Küstenpromenade, mit Blick auf die Bucht von Apia. Cremefarben, zweistöckig und mit zahlreichen Holzveranden im Kolonialstil versehen, sah es
aus, als könne einem Somerset Maugham, der Schriftsteller des britischen Empire, jederzeit entgegenkommen und seinen Sonnenhut höflich lüpfen. Im Foyer verstärkte sich Evelyns erster Eindruck noch. Von einem Bild an der Wand lächelte Aggie Grey höchstselbst herab, eine alte Dame mit Blume im Haar, Rüschenbluse und gelblichen Zähnen, porträtiert wie eine Lady. Darunter war ein Schild angebracht: 1897–1988. Obwohl Mrs. Grey seit nunmehr siebzehn Jahren tot war, spürte man in ihrem Hotel noch immer den angestaubten Charme jener Zeit, in der sie groß geworden war. Wer hier abstieg, hatte entweder keine Geldsorgen oder ein Faible für Kolonialromantik.
    »Talofa . Herzlich willkommen«, begrüßte eine samoanische Rezeptionistin Evelyn. Sie war dezent geschminkt und bewegte ihre Hände mit größter Eleganz, als sie das riesige Buch vor sich aufschlug. »Was kann ich für Sie tun?«
    »Ich möchte ein Zimmer, möglichst mit Blick auf die Bucht. Geht das?«
    »Sie haben reserviert?«
    »Nein.«
    »Sie haben nicht vorbestellt?«
    »Nein.«
    »Das ist …« Die Rezeptionistin zögerte einen Augenblick, blätterte in dem Buch und fügte hinzu: »… bedauerlich.«
    Dumm traf es eher, dachte Evelyn. Mitten in der Nacht und angetrunken einen folgenschweren Entschluss zu fassen ist noch verständlich, aber ihn gleich bei Sonnenaufgang in nüchternem Zustand in die Tat umzusetzen, das konnte man mit einigem Recht dumm nennen. Vor allem, wenn er ans andere Ende der Welt führte.
    Andererseits, sie würde vielleicht nicht mehr leben, wenn sie in Frankfurt geblieben wäre.

    Die Rezeptionistin klappte das Buch vor sich langsam zu. »Ich bedaure außerordentlich«, entschuldigte sie sich umständlich und faltete die graziösen Hände wie zum Gebet. »Wir sind die nächsten vier Nächte ausgebucht. Eine Konferenz der Südpazifikstaaten, Sie verstehen.«
    »Oh«, sagte Evelyn und verstand tatsächlich: Dutzende von Delegierten,
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