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Der Duft der grünen Papaya

Der Duft der grünen Papaya

Titel: Der Duft der grünen Papaya
Autoren: Sarah Benedict
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Körpermasse und dem großen, runden Kopf immer ein wenig bedrohlich wirkte, war er die Sanftmut in Person.
    Er war einsilbiger als sonst. Normalerweise brauchte er fünf Minuten für das Abladen und eine halbe Stunde, um Ili den neuesten Tratsch zu erzählen, angefangen bei geplanten Beschlüssen des Fono , des samoanischen Parlamentes, über skandalöses oder lustiges Betragen von Touristen bis hin zu Von-wem-ist-sie-schwanger-Klatsch. Dass er in den letzten Jahren allerdings bewiesen hatte, dass er Geheimnisse auch für sich behalten konnte, insbesondere
einige Geheimnisse der Familie Valaisi, rechnete Ili ihm hoch an.
    »Ach, komm schon«, munterte Ili den alten Ben auf. »Die paar Jahre, die wir noch haben, überstehen wir auch noch.«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein, Ili. Ich höre auf.«
    »Das sagst du schon, seit ich dich kenne«, erwiderte sie schmunzelnd.
    Er schüttelte noch beharrlicher den Kopf. »Diesmal meine ich es ernst, Ili. Es geht nicht mehr. Die Kisten, die hätte ich auch noch mit achtzig geschleppt. Das Schlimme ist, dass es nichts mehr zu schleppen für mich gibt. Weißt du, wie viele Kunden ich noch habe? Neununddreißig.«
    Ili biss sich auf die Lippe. Dass es so schlimm stand, hatte sie nicht gewusst. »Und deine Kaffeeplantage?«
    »Die bringt mir nichts ein. Die Preise decken so gerade die Kosten. Da ist noch nicht die Arbeit mitgerechnet, die ich hineinstecke.«
    Ili ging es kaum anders. Die Preise für Tropenfrüchte sanken seit zwanzig Jahren beharrlich, während die Anbaukosten gleich blieben. Wenn sie den Großhändler darauf ansprach, zog der nur eine gleichgültige Miene und sagte das alles erklärende und alles entschuldigende Zauberwort: der Weltmarkt. Der Weltmarkt war eben so. Mittlerweile war es so weit gekommen, dass Ili für jedes winzige Stück Technik, das von Neuseeland, Amerika oder Europa gekauft werden musste, umgerechnet sechshundert Papayas bezahlte. Eine Schraube kostete umgerechnet fünf Papayas.
    Bei Kaffee war es noch schlimmer. Der wurde ja fast monatlich billiger.
    Ben unterbrach den Kistentransport für einen Moment, stemmte seine schweren Arme in die Hüften und sah sich um. Ili konnte erkennen, dass er nur mühsam die Tränen zurückhalten konnte. »Ich werde mein Land verkaufen, Ili.«
    Ili presste sich überrascht die Hand auf den Mund. »Ben,
du … Du bist dort geboren worden. Du hast dein ganzes Leben dort verbracht. Deine Tochter und die Enkel ebenso.«
    Er schluckte und sah zu Boden. »Meine Tochter ist durch ihren Mann versorgt und die Enkel … Was bedeutet denen noch das Land? Da ist ein Mann, Ili …, ein Amerikaner, der hat mir einen akzeptablen Preis geboten. Will ein Hotel bauen. Warum nicht? Und ich … ich wäre alle Sorgen mit einem Schlag los.«
    »Du wärst auch deine Freude mit einem Schlag los. Das kannst du nicht ernst meinen. Versprich mir, dass du es dir noch einmal überlegst. Vielleicht, wenn du etwas anderes anbaust oder …«
    »Ich habe mich schon entschieden«, sagte er knapp, doch schon einen Moment später verbarg er das Gesicht in den Händen, und sein massiger Körper zuckte unter den feinen Stößen aus seinem Innern. Ili rieb ihm schweigend den Rücken. Was hätte sie noch sagen können, welchen Trost konnte sie geben? Jedes Wort wäre hohl gewesen.
    Eine Weile standen sie so da, bis Ben sich einen Ruck gab, mit den Ärmeln seines Hemdes etwas wegwischte, das keiner sehen sollte, und mit schweren Schritten wieder zur Ladefläche stapfte.
    Er hielt zwei tote Hühner an den Füßen hoch.
    »Moana hat die für heute bestellt. Bringst du sie ihr oder soll ich?«
    Was will sie denn mit zwei Hühnern auf einmal?, dachte Ili. Hühner waren teuer, hielten sich nicht lange frisch, und für Ane und sie waren zwei ganze Hühner viel zu viel. Es sei denn, sie erwartete einen Gast. Aber das war absurd. Moana hatte seit zehn Jahren keinen Gast mehr empfangen, seit dem Tod ihres Sohnes …
    Ein kalter Schauer jagte Ili über den Rücken, und sie schüttelte den Gedanken an diesen entsetzlichen Tag ab.
    »Bitte bringe du sie ihr«, sagte Ili. »Außer dir und Ane hat
sie ja niemanden, mit dem sie reden kann. Sie wird sich freuen.«
    Was kümmert es mich eigentlich, ob Moana sich freut , warf Ili sich sogleich selbst vor. »Außerdem muss ich wieder in die Plantage«, redete sie sich heraus.
    »Ili«, rief er ihr hinterher, und sie wandte sich noch einmal um.
    »Ja?«
    »Der Mann, der Amerikaner …«
    »Was ist mit ihm?«
    »Er
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