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Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)

Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)

Titel: Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)
Autoren: Stephan Russbült
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Zauber zu wirken. »Du wirst dich mir nicht widersetzen.«
    In diesem Moment verebbte die Kraft, die Milo über der Brüstung des Krähenturms schweben ließ, ganz, und er fiel. Seine Oberschenkel schlugen hart gegen die Brüstung. Sein Oberkörper kippte vornüber, und er schlug mit dem Kopf gegen die Außenseite der Balustrade. Für einen kurzen Moment hing er kopfüber vom Balkon, dann rutschten seine Beine über den Handlauf. Halb benommen und mehr instinktiv, umklammerte er mit einer Hand eine der dünnen Steinsäulen, welche die Umrandung des Balkons bildeten, und verhinderte so, dass er in die Tiefe stürzte.
    Milo hörte seine Tante aus dem Arbeitszimmer aufschreien, und im selben Moment schossen auch schon die ersten grellgrünen Lichtblitze aus den Fingern von Othman. Die dünnen Strahlen verwoben sich einige Schritt vor dem Zauberer miteinander. Der so entstandene dicke Strang an gebündelter Energie schoss über die Baumkronen hinweg in Richtung Krähenschlucht.
    Milo warf den Kopf zur Seite, um zu sehen, gegen wen oder was Othman seine Magie richtete. Vor Schreck hätte er beinahe den Halt verloren. Aus der Tiefe der Schlucht kletterte ein riesiges Wesen. Es war mehr als dreißig Fuß hoch, und außer dass es Arme, Beine, Kopf und einen Körper besaß, hatte es nichts mit irgendeiner Kreatur gemeinsam, die Milo kannte. Es sah aus wie ein gehäuteter Koloss. Fleisch, Muskeln und Sehnen lagen offen. Der Kopf war breitflächig und haarlos, die Gliedmaßen etwas zu lang. Viel mehr konnte Milo auf die Entfernung nicht erkennen.
    Der grüne Blitzstrahl des Magiers traf die Kreatur auf der Brust,schien ihr aber keinen Schaden oder irgendwelche Schmerzen zuzufügen. Doch durch das grelle Licht bemerkte Milo die vielen Schatten, die um die Kreatur herumschwirrten wie Mücken um das Licht einer Laterne.
    Der grüne Strahl brach ab. Milo sah, wie die Schatten sich auf die Kreatur stürzten, an ihr herumrissen und dann geradewegs in den Himmel aufstiegen, wo sie das Licht der Sonne verschlang. Dann sah er auch, woher die Schatten kamen. Sie entstiegen den toten Körpern der Ahnen, die überall herumlagen. Die nachströmenden Untoten brachen leblos zusammen, wenn sie die riesige Kreatur erreichten.
    »Du wirst ihre Seelen nicht befreien und mit ihnen dorthin verschwinden, von wo du gekommen bist!«, brüllte Othman. »Sie werden dir niemals verzeihen, was du getan hast. Du schuldest mir dein Blut. Ich habe für dich gesorgt und dir eine Zukunft geboten. Du wirst tun, was ich von dir verlange.«
    Milo verlor langsam den Halt. Er versuchte, ein Bein über die Balustrade und zwischen die Säulen zu bekommen. Sein Fuß berührte die Kante, rutsche jedoch wieder ab. Er holte erneut Schwung. Diesmal schaffte er es, seinen Fuß zwischen die Säulen zu klemmen. Jetzt hing er quer an der Außenseite der Brüstung. Er schob seinen Arm bis zur Beuge zwischen die Säulen, klammerte sich daran und versuchte, seine Kräfte zu sammeln. Othman hätte Milo mit einem einzigen Fußtritt in die Tiefe befördern können, doch der Magier nahm keine Notiz von ihm. Er streckte die Arme nach vorn und ballte die Fäuste. Im nächsten Moment schossen erneut grüne Blitze aus seinen Händen. Die Strahlen waren so dick wie Oberarme und trafen die Kreatur am Rande der Schlucht auf Höhe des Brustkorbs. Sofort ließen die Schatten wieder ab von ihr und schwirrten ziellos umher.
    Milo wartete auf den richtigen Moment. Vielleicht konnte er unbemerkt über die Balustrade und wieder in das Studierzimmer gelangen, um seine Tante aus dem Käfig zu befreien. Er schaute hinunter auf die Lichtung um den Turm. Die Reihen an Untotenhatten sich gelichtet. Die meisten der Ahnen waren aufgebrochen, um sich der Kreatur an der Krähenschlucht zu stellen. Andere krochen durch das niedrige Gras mit demselben Ziel, aber langsamer, weil ihnen ein oder beide Beine fehlten.
    Milo stockte der Atem. An der Ostseite des Turmes sah er unter sich Bonne an einen Pfahl gekettet. Er schien auf Dorn einzureden, der ganz in seiner Nähe stand. Ein Kreis aus Kadavern hatte sich um den Söldner gebildet. Nur ein toter Körper lag direkt neben ihm. Er war lang und schlank und in eine dunkelblaue Robe gehüllt. Der Kopf fehlte, doch Milo erkannte das strahlende Blau des Tuchs wieder. Es war Senetha, die dort vor Dorn lag. In der Hand hielt sie den Zauberstab ihres Vaters. Der Söldner bückte sich, nahm den Stab in die Hand und stand wieder auf. Ganz langsam, wie in Zeitlupe, drehte
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