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Der dritte Mond

Der dritte Mond

Titel: Der dritte Mond
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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bot sich ihr ein beinahe grotesker Anblick: Der Panzer war bis in die Mitte der Halle gerollt und hatte gehalten. Das riesige Turmgeschütz drehte sich hektisch hin und her, doch die Männer in den schwarzen Kampfanzügen waren einfach zu schnell. Charity hatte das Gefühl, einem Rudel kleiner, schwarzer Insekten zuzuschauen, die ein viel größeres Beutetier umkreisten. Plötzlich war sie gar nicht mehr sicher, wer der Sieger in diesem vermeintlich ungleichen Kampf sein würde. Sie und Gurk erreichten die nächste Etage. Gurk blieb stehen, schaute sich einen Moment hilflos um und warf Charity dann einen fragend-gehetzten Blick zu. Charity deutete nach links, aber im Grunde tat sie es vollkommen wahllos. Sie kannte sich in diesem Gebäude nur unwesentlich besser aus als Gurk. Das einzige, was sie mit Sicherheit wußte war, daß es hier ein wahres Labyrinth von Korridoren und Räumen gab. Vielleicht ihre einzige Chance. Charity haßte es, davonzulaufen, aber sie war auch realistisch genug zu erkennen, wenn ein Kampf aussichtslos war. »Findest du nicht, daß du mir ein paar Antworten schuldig bist, Gurk?« keuchte sie, während sie nebeneinander auf das Ende des Korridors zurannten. Der Boden unter ihren Füßen zitterte, und Hitze und Rauch begannen auch hier die Luft zu füllen. »Genauso geht es mir auch«, antwortete Gurk keuchend. »Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie ich mich freue, dich wiederzusehen. Wie lange ist es her? Sieben Jahre?« »Gurk!« »Ja, ja, ich weiß – es sind acht. Ich wollte dich nur auf die Probe stellen.« Sie hatten das Ende des Ganges erreicht. Charity verschwendete keine Zeit damit, die Tür zu öffnen, sondern sprengte sie einfach mit der Schulter aus dem Rahmen und stürmte hindurch. »Ich meine es ernst, Gurk«, sagte Charity. »Wer sind diese Kerle? Was wollen sie von dir?« »Ich schätze, sie sind wütend, weil ich ihr Schiff gestohlen habe«, antwortete Gurk. »Die Burschen sind ziemlich nachtragend, weißt du.« Vor ihnen lag ein schmales, unverkleidetes Treppenhaus. Die Stufen fielen unter ihnen zwei oder drei Etagen in die Tiefe und führten in der anderen Richtung gute zwanzig Etagen weit in die Höhe. Charity glaubte nicht, daß sie in ihrem momentanen Zustand noch die Kraft hatte, dort hinaufzurennen. Die Entscheidung wurde ihr abgenommen. Eine dumpfe, lang nachhallende Explosion erschütterte das Gebäude. Fünfzehn Meter unter ihnen wurde eine massive Metalltür von einer Feuerwoge auf die Treppe hinaufgeschleudert, und das gesamte Gebäude schien sich für einen gräßlichen, alptraumhaften Moment zur Seite zu neigen. Charity klammerte sich instinktiv am Türrahmen fest, blickte hastig über die Schulter zurück und erkannte auch am anderen Ende des Ganges brodelndes, weißes Feuer. Es war zu weit entfernt, um eine unmittelbare Gefahr darzustellen, aber es nahm ihnen die Entscheidung ab, in welche Richtung sie ihre Flucht fortsetzen mußten. Vielleicht war es einfach nur wichtig, in Bewegung zu bleiben. Die Zeit war auf ihrer Seite. Ohne ein weiteres Wort packte sie Gurk, stieß ihn vor sich her durch die Tür und die Treppe hinauf. Sie wagte nicht vorauszusagen, wie weit sie es bis nach oben schaffen würde. Vermutlich nicht einmal zur Hälfte. Charity wagte es auch nicht, genauer darüber nachzudenken, was da gerade unter ihnen explodiert war. »Gurk, was sind das für Kerle?« fragte sie noch einmal. »Was wollen sie von uns?« Gurk hetzte mit beinahe komisch anmutenden Sprüngen neben ihr her. Wäre die Situation auch nur ein bißchen anders gewesen, hätte Charity eine gehörige Schadenfreude empfunden. Gurk war zwar nicht annähernd so kraftlos, wie seine scheinbar schwächliche Konstitution vermuten ließ, aber mit für menschliche Proportionen gebauten Treppen hatte er schon immer gewisse Probleme gehabt. Doch Charity war im Moment kein bißchen nach Lachen zumute, und Gurk schien das wohl zu spüren, denn er antwortete ausnahmsweise nicht mit einer dummen Bemerkung, sondern keuchte nur kurzatmig: »Später. Ich sage dir alles, was du wissen willst, aber nicht jetzt. Wir brauchen unsere Kräfte vielleicht noch. Mit diesen Burschen ist nicht zu spaßen, glaub mir.« Wer hatte gesagt, daß sie das bezweifelte? Trotzdem warf Charity instinktiv einen Blick über die Schulter zurück, und obwohl die Treppe unter ihnen leer blieb, beschleunigte sie ihre Schritte noch einmal. Sie waren auf dem dritten Treppenabsatz angelangt, als auch die
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