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Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel
Autoren: Wilton Barnhardt
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Menschheit für laut, rücksichtslos und unreif und ganz entschieden nicht an dem interessiert, was sie selbst interessierte.
    Judy: » … und Vito Campanella, Gabes Freund? Halt mich zurück, um Gottes willen. Was für einen Hintern der Junge hat. Ich wünschte, ich könnte ihn dazu bekommen, daß er rückwärts geht.« Judy hatte ein lüsternes Vokabular von einer Präzision, die man nicht einmal bei Catull fand. Hätte Judy nicht ständig gutaussehende Männer im Visier gehabt und nicht ständig erklärt, wie fern sie Lucy standen, hätte Lucy ganz glücklich leben können. Als ob Judy die Person für romantische Liebesaffären gewesen wäre! Theoretisch war Judy im Gesicht ein wenig hübscher, obwohl sie zu mehr Gewicht neigte; Judy war sehr niedlich und keck. Es waren ihre Persönlichkeit und ihr nasaler, platter Mittelwesten-Akzent, was Männer fernhielt. Ganz abgesehen davon wusste Lucy, daß Paws the Cat die wahre und ewige Liebe ihrer Mitbewohnerin war.
    Paws the Cat gehörte Judy, und Cattus – früher Teil eines Paars, Felis und Cattus, aber Felis war überfahren worden – war Lucys Katze.
    »Lucy, ich glaube, wir müssen miteinander reden«, hatte Judy am Abend vor Lucys Abreise gesagt, als hätte Lucy eine einzige Sekunde Zeit zu verlieren gehabt. »Mir fällt auf, daß du Cattus immer dieselbe Schüssel gibst, aber Paws stellst du irgendein altes Ding hin, aus dem er fressen soll. Und außerdem,
    warum fütterst du deine Katze zuerst, wenn du das Mr. Kittles aus der Dose holst?«
    Weil er größer und aggressiver ist.
    »Du fütterst ihn nämlich immer zuerst.«
    »Nein«, widersprach Lucy, »Cattus meint, es sei seines, wenn ich zuerst Futter auf Paws Teller gebe, und dann frisst er es.«
    »Weil du ihn immer zuerst fütterst.«
    Lucy musste es oft ertragen, daß Judy miaute und in einer Art Babysprache mit Paws redete. »Böse große Lucy hat dir kein Fressi gegeben, nein! Es ist ihr egal, ob wir am Leben bleiben oder nicht!« Na ja, genauso war’s.
    (Ein wenig mehr Nachsicht würde nicht schaden, Meine Liebe.)
    Nein, Judy konnte einen wahnsinnig machen. Im ersten Jahr, als sie zusammenwohnten, war es noch okay – okay, wenn auch nicht berauschend –, aber dieses Jahr war es ein wahres Elend. Warum bin ich bloß nicht ausgezogen? fragte Lucy sich.
    (Willst du wirklich eine Antwort darauf? Du bist der Meinung, Judy studiere Psychologie, um das Elend anderer zu betrachten und sich ihnen überlegen zu fühlen. Mein Kind, du tust genau dasselbe.
    Hast du immer getan. In St. Eulalia hast du dich immer zu dem Mädchen hingezogen gefühlt, das weniger akzeptiert war als du. Erinnerst du dich an deine Freundin Faith? Liegt der wahre Grund für deinen Groll gegen Judy nicht darin, daß du in ihr deine eigenen Fehler, deine eigenen Grenzen erkennst?)
    Ich will nicht mehr an Chicago denken, beschloss Lucy trotzig. Statt dessen versuchte sie, Berkshire und das östliche Oxfordshire für sich ein bisschen mehr so zu gestalten, wie sie es erwartet hatte. Sie sah Schnellstraßen, Einkaufszentren, Büroviertel und Fabriken, aber nicht eben viele von den Dörfern mit strohgedeckten Cottages, auf die sie gehofft hatte. Hier und da, zu weit abgelegen von der Straße, um sie näher betrachten zu können, entdeckte sie eine alte Kirche aus Cotswold-Stein, einen gedrungenen, quadratischen Glockenturm inmitten einer Baumgruppe und ein paar schiefergedeckte Häuser. Weil die Illusion und die Schönheit des Bildes sich bei näherem Blick womöglich verflüchtigt hätten, redete Lucy sich ein, wie englisch das doch alles aussehe, während der Bus wieder einen sanften Hügel hinab fuhr .
    Bald wurde die Straße belebter, und der Bus schlängelte sich durch eine ganze Reihe der unvermeidlichen englischen Verkehrskreisel, der roundabouts. Lucy sah auf die Uhr und rechnete aus, daß sie schon fast in Oxford sein müssten . Ihr war ganz schwindlig bei dem Gedanken, an einen Ort zu kommen, den sie bisher nur aus PBS-Specials und dem Reisesender des Kabelkanals in Chicago gekannt hatte. Der Bus fuhr über die Magdalen Bridge, und die Stadt der mittelalterlichen Kirchen kam in Sicht: die Festungstore, die Glockentürme und Kirchturmspitzen, malerische Old-England-Lädchen, die man, wo immer es ging, zwischen die steinernen Bollwerke gepfercht hatte; Gruppen ausgelassener Studenten in Schuluniform, die vor den Prüfungssälen zusammenstanden, um das Ende des Semesters mit Champagner und lautem Jubel zu feiern … Lucy wollte
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