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Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel
Autoren: Wilton Barnhardt
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in einer Höhe von 11.000 Metern, über London sei es bewölkt und regnerisch, und allen einen guten Morgen gewünscht hatte, warnte er die Passagiere, es könne aufgrund einer Hochdruckzone über Großbritannien in der nächsten Stunde zu leichten Turbulenzen kommen. Und kaum hatte er die Durchsage beendet
    – Buck, Chip, Dirk, Biff oder wie immer er heißen mochte, für Lucy klang er auf jeden Fall betrunken oder doch zumindest nur halbwach –, da leuchtete – hing! – das Fasten-seatbelt-Zeichen auf.
    Lucy Dantan legte die Hand automatisch auf ihren Gurt, den sie gar nicht gelöst hatte, und wappnete sich. Ihr erster Flug.
    Wegen der Aufregung über ihre erste Europareise, der ungewöhnlichen Aufgabe, die vor ihr lag, und ihrer Flugangst war Lucy auf höchstens zwanzig Minuten qualvollen Flugzeugschlafs gekommen, aufgeschreckt durch jede Bö und jedes Wackeln. Ihre Uhr zeigte 6 Uhr 30 morgens, 13 Uhr 30 für die Engländer unten auf festem Boden – genaugenommen Schotten, entschied Lucy –, und es dauerte nicht mehr allzu lange, bis sie London und Heathrow Airport erreichen würden. Wie angekündigt, setzten jetzt die Turbulenzen ein. Lucy sah auf die schläfrig wirkende Stewardess , die den Mittelgang entlan gging. Die Ste wardess tat das ununterbrochen. Mehrere Tage pro Woche, monatelang, jahrelang taten Leute das. Kein Problem, diese Turbulenzen. Etwas ganz Gewöhnliches. Mit einem beunruhigend lauten Ooooshh sackte die Maschine etwa dreißig Meter nach unten, ein Ruck, der Lucy an das Gefühl erinnerte, das sie empfand, wenn der Abwärtslift im Sears Tower zu Hause in Chicago bremste. Ein paar Leute stöhnten auf, die meisten rutschten, immer noch schlafend, auf ihrem Sitz herum und brachten sich wieder in eine bequeme Lage. Zeit für noch ein Gebet, gelobte sie. »Vater unser, der du bist im Himmel …«
    (Schon wieder!)
    » … geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme …« Lucy brach ab, das war viel zu förmlich. »Bitte, lasse dieses Flugzeug nicht abstürzen, Herr. Jesus, wenn es verunglückt, vergib mir meine Sünden. Und
    Heiliger Geist …«
    (Ja?)
    » … wenn wir alle sterben müssen, dann gib mir die Kraft, und schenke mir den Frieden, meinem En-de mit Würde ins Auge zu sehen.« Und wenn das Flugzeug in den kalten Nordatlantik stürzte? Lucy stellte sich eine Notwasserung vor. Zuerst würde das Flugzeug auf dem Wasser schwimmen, dann würde Panik ausbrechen, und die Leute würden wild darum kämpfen, auf die Rettungsflöße zu kommen. »Gib mir die Kraft, Heiliger Geist, daß ich bei dieser bevorstehenden Prüfung von Nutzen sein kann. Und wenn es mein Schicksal ist zu sterben, dann …«
    (Das Flugzeug stürzt nicht ab, mein Kind!)
    Heimtückisch sackte das Flugzeug nun mehrmals hintereinander in die Tiefe. Eine Stewardess verschüttete den Orangensaft, den sie gerade einschenkte, und ein Baby fing an zu schreien.
    »Dein Wille geschehe«, flüsterte Lucy, die Augen zugekniffen und die Hände zusammengepresst . »Wenn es dein Wille ist, daß ich mit achtundzwanzig Jahren vom Himmel stürze, in der Blüte meines Lebens, na gut, ich kann dich nicht davon abhalten. Aber ich wäre glücklich, mein Leben einer Pflicht zu weihen oder irgendein Gelübde abzulegen …«
    (Über Neufundland hast du uns zwei Jahre bei Mutter Teresa versprochen. Was bekommen wir diesmal?)
    »Und bitte, Heiliger Geist, sei mit dem Piloten und dem Kopiloten, und führe sie, so daß wir doch vielleicht alle unversehrt landen.«
    (Ich bin doch immer mit dir.)
    Die Turbulenzen setzten für einen Moment aus, und Lucy war entschlossen, sich abzulenken. Zwei Zerstreuungen waren zulässig: das Bordmagazin, in dem sie jeden Artikel – außer dem über Versicherungen – schon dreimal gelesen hatte, und ihr eigenes Notizbuch mit den Details ihres Auftrags.
    Sie repetierte: Dr. O’Hanrahan und sein Assistent, Gabriel O’Donoghue, ihr Sandkastenfreund und Kommilitone an der Universität von Chicago, waren im Februar zu einer Art geheimer Forschungsreise aufgebrochen. Im März hätten die beiden zurückkommen sollen, doch sie kamen nicht. Die Versuche des Theologischen Fachbereichs, Kontakt mit ihnen aufzunehmen, erwiesen sich als vergeblich. Gabriel hörte auf, nach Hause zu schreiben. Bald hatten die Kollegen Dr. O’Hanrahans Spur verloren; immerhin bekamen sie, da er die Kreditkarte des Fachbereichs dabeihatte, mit den Quittungen manchen Hinweis darauf, wo er gewesen war. Als aber eine Rechnung über 2000 Dollar eintraf,
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