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Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel
Autoren: Wilton Barnhardt
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lavendelfarbenes, aromatisches Getränk, das nach Veilchen zu schmecken schien. Es heiße Violette, erklärte die Schwester, und sei ein exquisiter Tropfen aus Toulouse. »Dieses Jahr war ich an der Reihe, einen Aperitif mitzubringen. Jedes Jahr«, fügte sie hinzu, »bringen drei von uns eine Flasche mit etwas Außergewöhnlichem mit, das eine kirchliche Vergangenheit hat. Drei für die Dreifaltigkeit.«
    »Was keine allzu schwierige Aufgabe ist«, setzte Pater Beaufoix hinzu, »da die meisten geistigen Getränke irgendwann ihren Ursprung in der Kirche hat-ten.«
    »Ich weiß noch«, sagte Dr. Gribbles, »daß unser lieber Patrick O’ Hanrahan einmal einen schwarzge brannten Alkohol aus Amerika mitbrachte und behauptete, wir bekämen ein Produkt von wiedergeborenen Baptisten aus den Südstaaten zu kosten. Typisch O’Hanrahan, muss ich sagen.« Und während er von dem großen Mann sprach, betrat dieser den Raum. Wenn Dr. O’Hanrahan bei dieser seltenen Gelegenheit, einmal im Jahr, mit seinen Gefährten vereint war, sah er verändert aus – in seinen blauen Augen schien die angenehme Erinnerung an einen schmutzigen Witz zu funkeln. Er trug einen zerknitterten grauen Anzug, dazu eine schwarze Krawatte, und Lucy lächelte, als sie bemerkte, daß der oberste Hemdknopf längst nicht mehr Schloss und auch die Krawatte ziemlich locker saß. Aber zerknittert oder nicht – welch ein Anblick! Er umarmte seine alten Freunde, kniff Schwester Marie-Berthe und tat, als wolle er unter ihre Ordenstracht greifen; die Falten um seine Augen wurden tiefer, als er sein dröhnendes Lachen wie einen Schlachtruf ertönen ließ. Lucy hatte er noch nicht entdeckt. Plötzlich bekam sie Angst, er werde eine öffentliche Szene machen und sie von den Festlichkeiten verbannen, wenn er sie entdeckte. Vielleicht sollte sie die Situation entschärfen, indem sie ihre Anwesenheit selbst kundtat. Sie schlich sich an Dr. O’Hanrahan heran, während er und Pater Beaufoix sich unterhielten. »Paddy«, sagte der Dominikaner eben, »Sie wollen mir bestimmt erzählen, hinter welcher Sache Sie her sind. Sagen Sie nicht, daß Sie wieder dieser wertlosen Stephanusge schichte nachjagen. Mon ami, davon habe ich in meinem Büro in Kairo fünfzehn Kopien herumliegen.«
    »Nein«, erwiderte Dr. O’Hanrahan, »kein so Nachfolge-Gesindel wie Stephanus für mich. Nichts weniger als einer von den zwölfen.« Pater Beaufoix lachte Dr. O’Hanrahan ins Gesicht: »Puh! Sie wollen doch nicht sagen, daß Sie ein Apostelevangelium gefunden haben, oder?«
    »Sie werden eines Tages alles darüber in den Zeitungen lesen, Philip.« Lucy schien es plötzlich, daß Pater Beaufoix Dr. O’Hanrahan trotz seines Lächelns auf unangenehme Art aufzog. »Sind Sie sicher, lieber Freund, daß Sie wirklich hinter einem verlorenen Evangelium her sind, oder ist das wieder nur einer Ihrer Pläne, um Ihren Fachbereich in den Ruin zu treiben? Ich nehme an, diese Forschungsreise«, fuhr der Dominikaner fort und klopfte Dr. O’Hanrahan auf den Bauch, »wird Sie zufällig nach Rom und Paris und in jedes Fünf-Sterne-Restaurant auf dem Weg führen.« Dr. O’Hanrahan antwortete mit einem heiteren Lachen. »Und auf jeden Fall«, röhrte Pater Beaufoix, ohne Gehässigkeit, aber dennoch beleidigend, »wer wird Ihr Buch für Sie schreiben? Wollen Sie vielleicht im Alter von siebzig Ihr literarisches Debüt anstreben, n’est-çe pas?«
    »Entschuldigen Sie mich, Philip«, sagte Dr. O’Hanrahan und wandte sich ab, um einen Kellner mit Getränketablett abzupassen, entdeckte aber nur Lucy.
    »Hallo«, begrüßte sie ihn mit einem matten Lächeln. »Dr. Shaughnesy hat es arrangiert, daß ich teilnehmen kann.«
    »Lucy, nicht wahr?« schnaubte er mit einem Anflug von Feindseligkeit.
    »Hören Sie, wenn Sie wollen, daß ich gehe, gehe ich …«
    »Gut, dann gehen Sie!«
    »Aber, Sir, es wäre ein unvergessliches Erlebnis für mich, wenn ich bei diesem Bankett dabeisein könnte.«
    »Was verstehen Sie von Theologie? Haben Sie ein Hirn in Ihrem Kopf?«
    »Na ja, ich bin graduierte Studentin von der Chicagoer Universität.«
    »Also nehme ich an, die Antwort ist nein«, betonte er.
    Lucy rechtfertigte sich: »Ich habe einen Bakkalaureus in der Fachrichtung Neues Testament, einen Magister in Griechisch, bin durchschnittlich in Latein, und bei Ihnen habe ich Hebräisch gelernt. Ich meine, in den Vorlesungen, zu denen Sie erschienen sind …«
    »Na gut, na gut. Bleiben Sie.«
    Nach der Violette folgte der
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