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Der Drachenflüsterer - Der Drachenflüsterer

Titel: Der Drachenflüsterer - Der Drachenflüsterer
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Jungen wie ihn überhaupt aufnehmen? Er gehörte nicht zu den unfreien Knechten, doch eine angesehene Familie hatte er auch nicht vorzuweisen. Er hatte gar keine, und er wusste
nicht, ob man den Orden belügen konnte wie einen normalen Menschen. Wieso sollte der mächtige Orden ihn aufnehmen, wenn er nicht einmal in seiner unbedeutenden Heimatstadt akzeptiert wurde? Betrübt hatte er seine spärliche Habe wieder aus dem Rucksack genommen und auf die Bretter geräumt. Noch hatte er hier ein Dach über dem Kopf und einen Freund. Außerdem wusste er, wie er ohne Schule, Arbeit und größere Scherereien durchkam. Hatte er gerade keinen Ärger am Hals, war er frei wie ein Vogel. Also war er geblieben, um auf den nächsten Drachenritter zu warten. Ihn würde er fragen, wie er das Ritterwerden anstellen sollte, doch seit fast drei Jahren war keiner mehr in Trollfurt gewesen, nicht einmal hindurchgeritten. Trollfurt lag einfach am vergessenen Ende der Welt.
    Ben rieb noch einmal über die Knubbel, um ganz bestimmt keinen Geistern zu begegnen, glitt wieder vom Standbild hinunter und schlich zum Friedhof am Stadtrand.
    Das alte eiserne Tor war abgesperrt. Bei dem gespaltenen Olivenbaum stieg Ben über die Mauer und landete auf der anderen Seite zwischen zwei alten Grabsteinen. Sie waren klein und schief, und einer hatte eine abgeschlagene Ecke.
    »Bleib aber bloß nicht am Rand, der Zauber ist stärker, je weiter du zur Mitte des Friedhofs kommst«, hatte Yanko gesagt, und so schlich Ben zwischen den Gräbern und Bäumen entlang zum Brunnen im Zentrum, der unweit der Toteneiche stand.
    Das Mondlicht fand nur selten den Weg bis zum Boden, die Schatten unter den zahlreichen Baumkronen waren tief und für seine Augen kaum zu durchdringen. Ein Mondhäher stieß sein klagendes Krächzen aus, dann war weiter nichts zu hören als Bens vorsichtige Schritte.

    Die Grabsteine wirkten in der Nacht viel massiger und dunkler. Hier und da schimmerte ein Stein sanft im Mondlicht, doch die meisten schienen selbst die kleinste Helligkeit aufzusaugen. Immer wieder sah sich Ben um, aber Geister konnte er keine entdecken. Doch hatte sich dort, unter den drei ausufernden Weidenbäumen um das gedrungene, breite Grab, nicht etwas bewegt? War das überhaupt ein Grab, oder kauerte dort irgendetwas? Ben vernahm kein Geräusch, aber das hatte nichts zu bedeuten. Geister bewegten sich schließlich lautlos, sie machten nur Lärm, wenn sie es wollten.
    Ein gutes Stück links von ihm raschelte etwas.
    Ben wich nach rechts und wurde mit jedem Schritt schneller, sah nach links und rechts und wieder nach links, dann nach rechts. Doch was in den dunklen Schatten steckte, konnte er nicht erkennen. Das letzte Stück zum Brunnen rannte er beinahe. Verflucht, hoffentlich erschien ihm nicht seine Mutter!
    Ben schielte hinüber zur Toteneiche, deren Blätter jedoch schwiegen. Sie war bei der Stadtgründung mit Hellwahs Segen gepflanzt worden, bevor der erste Tote hier begraben wurde; so, wie es sich gehörte. Seither hatte sie mit ihren weit verzweigten magischen Wurzeln einen Teil der Seele eines jeden aufgenommen, der hier begraben lag. Nicht viel, den Toten sollte es im Nachleben an nichts mangeln, sie sog nur eine winzige Ahnung von ihnen aus der Erde, auf dass sie nicht vergessen wurden und der Stadtgemeinschaft zugehörig blieben, und formte Blätter nach den Gesichtern der Verstorbenen aus. Die Blätter wisperten im Wind - hörte man ihnen lange genug zu, konnte man deutlich Worte verstehen, hörte, was die Toten einem zuraunten. Manch einer fragte vor wichtigen Entscheidungen hier seine Ahnen um Rat, allerdings nie nachts. In der Nacht verbargen sich oft Schattenkrähen zwischen
den Ästen und mischten ihre dämonischen, falschen Ratschläge unter das Wispern der Toten, um die Lebenden zu Untaten zu verleiten. Ben hatte noch keine Frage an seine Mutter gerichtet, er hatte noch nicht einmal nach ihrem Blatt gesucht. Auch jetzt hatte er nicht mehr als einen flüchtigen Blick für die Toteneiche übrig, sie war ihm unheimlich.
    Es musste längst Mitternacht sein. Hastig zerrte er die Ratte aus der Hosentasche, legte das tote Tier auf den Brunnenrand und beruhigte sich. Hier war nichts, nichts und niemand. Es gab keinen Grund zur Panik, und er durfte jetzt keinen Fehler machen.
    Noch einmal atmete er aus, dann holte er von tief unten Speichel hoch. Dreimal spuckte er auf die Warze, dreimal rieb er mit der Ratte über sie hinweg und murmelte die Beschwörung, die
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