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Der Dorfpfarrer (German Edition)

Der Dorfpfarrer (German Edition)

Titel: Der Dorfpfarrer (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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eine ungeheure Zeit auf die Korrekturen verloren; jeden Druckbogen sah er fünf- bis sechsmal durch, und in der sechsten Revision war oft kaum noch eine Silbe so, wie sie auf dem ursprünglichen Manuskript gewesen. Dabei ist er der unpraktischste Haushalter. Er meint zu sparen, indem er sich ein Landhaus baut. »War's eigentlich in Wahrheit eine Wohnung zu nennen?« fragt sich L. Gozlan, »dieses Schweizerhäuschen mit grünen Läden, in das nie der Schatten einer Kommode gekommen, nie eine Ahnung von einem Vorhang aufgehängt worden war?« Natürlich sah es da drinnen nicht sehr gemütlich aus; da aber auch der Garten keinen Schatten hat, um darunter zu arbeiten, läßt er ausgewachsene Bäume hinverpflanzen, damals noch ein unerhörtes Unternehmen, und da er die Konstruktion des Hauses einem Architektendilettanten überlassen hat, ist's kein Wunder, daß es keine Fundamente hat, ihm fast überm Kopf zusammenstürzt, und er froh sein muß, es zum zehnten Teil der Kosten loszuwerden. »Sie fragen mich,« schreibt er an Gräfin Hanska, seine spätere Gemahlin, »wie es kommt, daß ich, der, wie Sie so nachsichtig sind zu sagen, alles kennt, alles beobachtet und durchschaut, so oft geprellt und getäuscht werde ... Wenn ein Mensch dazu kommt, ein Whistspieler ersten Ranges zu sein und bei der fünften ausgespielten Karte weiß, wo alle anderen Karten sind, glauben Sie nicht, daß er manchmal gerne seine Wissenschaft beiseite läßt, um zu sehen, wie das Spiel gehen wird, wenn er's den Gesetzen des Zufalles überläßt?« Doch hat er auch eine andere plausiblere Erklärung: »Wenn meine Kräfte und Fähigkeiten Tag und Nacht angespannt sind zu erfinden, zu schreiben, wiederzugeben, zu malen, mich zu erinnern, wenn ich, langsamen, oft verwundeten Flügels, daran bin, die geistigen Felder der literarischen Schöpfung zu durchziehen, wie kann ich da zugleich auf dem Boden der Materialitäten sein? Als Napoleon in Eßlingen war, war er nicht in Spanien. Um im Leben, in der Liebe, in der Freundschaft, in den Geschäften, in den Beziehungen jeder Art nicht betrogen zu werden, liebste, einsame und abgeschlossene Gräfin, muß man eben nur das eine treiben; muß einfach Finanzier, Weltmann, Geschäftsmann sein. Gewiß sehe ich sehr gut, daß man mich betrügt, daß man mich betrügen wird, daß der oder jener mich verrät oder verraten wird, oder sich mit einem Büschel meiner Wolle fortmacht; aber im Augenblick, wo ich es vorausfühle, voraussehe, wo ich's weiß, muß ich mich sonstwo schlagen; ich sehe es, wenn ich von der Notwendigkeit des Augenblicks fortgerissen bin, durch ein Werk, das drängt, durch eine Arbeit, die verloren wäre, wenn ich sie nicht beendigte. Ich vollende oft eine Hütte bei dem Lichte eines meiner brennenden Häuser. Ich habe weder Freunde noch Diener, alles flieht mich, ich weiß nicht warum, oder vielmehr, ich weiß es nur zu gut, weil man einen Mann nicht liebt und bedient, der Tag und Nacht arbeitet, der sich nicht für andere Leute zerstreut, der zu Hause bleibt, den man aufsuchen muß und dessen Macht – wenn er je welche haben sollte – erst in zwanzig Jahren zum Vorschein käme, weil der Mann die Persönlichkeit seiner Arbeiten hat, und jede Persönlichkeit verhaßt ist, wenn sie nicht zugleich eine Macht ist.« Und anderswo: »Man verbringt die zweite Hälfte seines Lebens damit, das abzumähen, was man während der ersten Hälfte in seinem Herzen hat wachsen lassen; das nennt man ›Erfahrung sammeln!‹«... »Schöne Seelen gelangen schwer dazu, an Bosheit, Verrat, Undank zu glauben. Wenn ihre Erziehung in der Hinsicht gemacht ist, erheben sie sich aber auch zu einer Nachsicht, die vielleicht der letzte Grad der Verachtung für die Menschheit ist.« Man glaubt Leopardi zu hören.
    Nicht alle seine Verrechnungen sind der Prellerei derer zuzuschreiben, mit denen er sich einließ. Er betrog sich ebensooft selber, kaufte auf Spekulation Bilder großer Meister, seltene Gerätschäften, alte Möbel, teure Bücher, von denen er sich hernach nicht zu trennen vermochte; denn Balzac kann als der Vater der leidigen bric-à-brac-Manie unserer Zeit angesehen werden; nur war's bei ihm nicht Mode, sondern echtes künstlerisches Interesse. Die Rembrandtischen Salonbeschreibungen seiner Romane sind zum Teil nur Schilderungen seines eigenen großen Wohnzimmers in Chaillot, wo er, um dem Nationalgardendienst zu entgehen, unter dem Namen einer Witwe Durand wohnte. Durch eine unscheinbare Haustüre, über
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