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Der Dorfpfarrer (German Edition)

Der Dorfpfarrer (German Edition)

Titel: Der Dorfpfarrer (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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eine baufällige Treppe und nach einem dunklen Vorzimmer gelangte man plötzlich in diesen prächtigen Raum, dessen vier Fenster ganz Paris beherrschten, und wo er im Dominikanergewand allein mit den Geschöpfen seiner Phantasie wie mit wirklichen Wesen lebte. Das Zimmer war ein wahres Museum von kostbaren Kunstgegenständen (Nettement). Noch großartiger trieb er's später in seinem unbewohnten Hause in der Nähe des Triumphbogens. Hier führte er in Wirklichkeit aus, was er in den Jardies sich begnügt hatte, mit Kreide auf die Wände zu schreiben: »Hier eine Bekleidung in parischem Marmor; hier ein Stylobat in Cedernholz; hier ein Plafond von Delacroix; hier ein Kamin von Cipollin-Marmor.« (Gozlan.) Kein Wunder, wenn das schwerverdiente Geld schnell verschwand.
    So gequält von Sorgen, gequält von seinen Verlegern, dem Gerichtsvollstrecker und den Druckerjungen vor der Türe, arbeitete er bei seiner Tasse Kaffee immer weiter an seiner imaginären Welt. »César Birotteau«, eines seiner Meisterwerke, wurde in fünfundzwanzig Tagen geschrieben, »die Füße im Senf, wie die ›Pajsans‹, den Kopf im Opium,« geschrieben worden. Das merkt man nun freilich seinen Romanen stark an: es fehlt ihnen ausnahmslos an Oekonomie: die kann eben nur aus langem Mitsichherumtragen eines Gegenstandes und ruhiger Ausführung hervorgehen. An Gedanken, an Beobachtungen, an Charakteren haben wir die Fülle, und sie beruhen auf tiefster Weltanschauung und psychologischer Einsicht, die Anlage aber ist stets außer Gleichgewicht: die Exposition nimmt fast immer die Hälfte jedes Werkes ein; und die Auflösung ist ebenso oft überstürzt, wenn sich die Geschichte nicht im Sande verliert. Auch der Stil litt unsäglich unter dieser fiebernden Arbeit. Nie ist Balzacs Satzbau auch nur fließend; der Ausdruck ist nur zu oft gesucht, unnötigerweise neologistisch. Man sieht, er tastet nach dem richtigen Wort, ringt mit der Sprache, häuft Adjektive auf Adjektive und findet erst im letzten das richtige. Umsonst korrigiert er dann auf dem Druckbogen wieder und wieder herum: er erschwert sich dadurch nur die Arbeit ohne Gewinn für diese: im Gegenteil fühlt man überall die Flickerei: dem Stil fehlt es an Einheit.
    Noch verderblicher als für die Werke waren die Folgen dieser Lebensführung natürlich für den Schöpfer dieser Werke. Oft fühlte er sich geistig erschöpft und physisch unterliegend. So nach seiner zweiten finanziellen Katastrophe, welche eintrat, als er gerade das heißersehnte Ziel erlangt zu haben glaubte, und welche mit dem Tode Mme. de Bernys koinzidierte. Man kann nichts Tragischeres lesen als den langen Brief, den er im Oktober 1836 an diejenige schreibt, welche vierzehn Jahre später Mme. de Balzac werden sollte. »Ich bin niedergeschlagen, aber nicht überwältigt; mein Mut ist mir geblieben. Das Gefühl der Verlassenheit und der Einsamkeit, in der ich mich befinde, betrübt mich mehr als mein Unglück. In mir ist nichts Egoistisches; ich muß immer meine Gedanken, meine Anstrengungen, meine Gefühle auf ein Wesen beziehen, das nicht Ich ist; sonst habe ich keine Kraft. Ich möchte keine Krone, wenn ich niemanden hätte, zu dessen Füßen ich niederlegen könnte, was die Menschen auf mein Haupt gesetzt. Welch langes und trauriges Lebewohl habe ich diesen verlornen, auf immer dahingegangenen Jahren gesagt! Sie haben mir weder volles Glück, noch volles Unglück gegeben, sie haben mich leben lassen, erfroren auf der einen Seite, verbrannt auf der andern, und da wäre ich nun, nur durch das Pflichtgefühl im Leben zurückgehalten. Ich bin in das Dachstübchen eingezogen, wo ich jetzt bin, mit der Ueberzeugung, daß ich darin arbeiten und erschöpft sterben werde; ich glaubte es besser zu ertragen als ich's tue. Seit mehr als einem Monate stehe ich um Mitternacht auf und gehe um sechs Uhr morgens zu Bette, habe mir genau das Maß von Nahrung auferlegt, das nötig ist, um nicht Hungers zu sterben, damit das Gehirn nicht auch die Ermüdung habe, welche aus der Verdauung entsteht; und doch fühle ich nicht nur Schwächezustände, die ich nicht beschreiben kann, sondern auch soviel Leben im Gehirn, daß ich sonderbare Störungen darin verspüre. Manchmal verliere ich das Gefühl der Senkrechtheit, welches im kleinen Gehirn ist; selbst im Bette kommt es mir vor, als ob mein Kopf nach rechts oder links falle und, wenn ich aufstehe, ist mir's, als ob ein furchtbares Gewicht im Kopf mich vorwärtstreibe ...«
    Immer mehr zog er
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