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Der Dorfpfarrer (German Edition)

Der Dorfpfarrer (German Edition)

Titel: Der Dorfpfarrer (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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vermögend, mit ihrer zitternden Hand den Heiratskontrakt zu unterschreiben. Siebzehn Jahre lang sahen sich die alternden Geliebten nur von Zeit zu Zeit, in Italien, Deutschland, Rußland. Um ihre Gegenwart nur ein paar Tage zu genießen, schien ihm ja eine zehntägige Reise nicht zu beschwerlich, und die Tage, welche er auf der einsamen »Insel im Meere« – das Meer waren die Kornfelder, die Insel der Park, in dessen Mitte sich das fürstliche Schloß seiner Geliebten erhob – waren die glücklichsten seines Lebens. Ihr schrieb er täglich, und diese langen Briefe sind unstreitig die interessantesten der Correspondance. Leider fehlen wenigstens drei Viertel derselben, welche die Gräfin bei einem Brande ihres Schlosses einbüßte.
    Das Verhältnis war ein merkwürdiges, im neuen Frankreich geradezu unerhörtes: es erinnerte an die lange Liebe des Chevalier de Boufflers und Mme. de Sabrans, deren reizende Briefe uns vor nicht langer Zeit einen so schönen Einblick in die Gemütstiefe des vorigen Jahrhunderts erlaubt, dem ja zu allen seinen großen Reizen auch dieser nicht fehlte. Die Tochter Gräfin Hanskas, eine reizende jugendliche Erscheinung, und ihr Gatte, ein feiner, gebildeter junger Edelmann in des Wortes schönstem Sinne, hingen fast ebenso an Balzac wie die Mutter, und für ihn bildeten alle drei im Rahmen des großartig vornehmen Schloßlebens im Herzen Rußlands ein Einziges. Jeder hatte einen Spitznamen. Balzac selber hieß Bilboquet in dieser Truppe der Saltimbanques (Seiltänzer), wie er sie nach einem damals unglaublich populären Boulevardstücke getauft hatte. Familienverhältnisse, vielleicht auch eine kleine Scheu vor der wirren, verschuldeten Lage Balzacs, schoben die eheliche Verbindung immer wieder hinaus, während Balzac jahrelang liebevoll und wie immer verschwenderisch an dem Neste baute, das in einem Winkel der Champs-Elysées seine Geliebte aufnehmen und alles Raffinement des abendländischen Luxus mit aller Fülle des morgenländischen vereinigen sollte. Derselbe Mann, der (in den Contes drolatiques ) die Rabelaissche Zote aufs kühnste erneuert, der (in der Fille aux yeux d'or , in der Cousine Bette ) die abscheulichsten Verirrungen der Hyperzivilisation und verderbter Sinnlichkeit geschildert hat, erscheint uns hier, wie auch bei allen Zeitgenossen, die ihn persönlich gekannt, wie beseelt und ausgefüllt von reinster, fast mädchenhafter Liebe für eine einzige, der er Altäre baut, ein Widerspruch, der tief durch die idealbedürftige, sinnlich erregbare Nation geht, schon im mittelalterlichen Rittertum und seiner Dichtung hervortritt, sich in Pascals, in Abbé de Rancés Leben bis zur Tragik steigert. Balzac hat ähnliche Gedanken wie der merkwürdige Stifter des schweigenden Trappistenordens – eines Ordens, der nur in Frankreich Wurzel gefaßt hat –, man weiß, daß Rancé erst nach dem Tode seiner Geliebten auf immer dem weltlichen Leben entsagte. An seine erkrankte Geliebte schreibt Balzac im Jahr 1844: »Wenn die Hoffnung meines ganzen Lebens mir schwände, wenn ich Sie verlöre, würde ich mich nicht töten, würde ich kein Priester werden; aber ich ginge in einen unbekannten Winkel, in der Arriege oder den Pyrenäen, um dort langsam zu sterben, ohne mich weiter um irgendwas in der Welt zu kümmern; alle zwei Jahre ginge ich zu Anna, (Gräfin Hanskas Tochter) und spräche von Ihnen. Ich schriebe auch nicht mehr. Wozu sollte ich schreiben? Sind Sie nicht die ganze Welt für mich?« Nachdem er Lauzuns, des bekannten Wüstlings, Memoiren gelesen, ruft er aus: »Wie glücklich ist man doch, wenn man nur eine Frau liebt!«
    Wer war französischer, Rabelais oder Pascal, Rancé oder Lauzun? Es sind zwei Seiten einer selben, dem Schreiber dieses trotz so langer Lebensgemeinschaft unbegreiflichen, unergründlichen Natur. »In Frankreich«, sagt Balzac selber in einem Briefe an die Freundin, »sind wir heiter und witzig und lieben; wir sind heiter und witzig und sterben; wir sind heiter und witzig und schaffen; wir sind heiter und witzig und dabei konstitutionell; wir sind heiter und witzig und vollbringen erhabene und tiefe Dinge. Wir hassen die Langeweile, aber wir haben darum nicht weniger Gemüt, wir gehen an alles heiter und witzig, frisiert, pommadiert, lächelnd ... Man hält uns für ein leichtsinniges Volk. ... Wir leichtsinnig! unter der Herrschaft des 1000-Frankensackes und Sr. Maj. Louis Philipps. Sagen Sie Ihrer lieben Fürstin, daß Frankreich auch zu lieben weiß.
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