Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Dorfpfarrer (German Edition)

Der Dorfpfarrer (German Edition)

Titel: Der Dorfpfarrer (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
Vom Netzwerk:
verschleierten von neuem Tränen die Flammen ihrer Augen. Sie machte eine Pause.
    »Es ist endlich unter euch ein Mann, der, weil er seiner Pflicht streng nachgekommen ist, für mich Gegenstand eines Hasses gewesen ist, der meiner Meinung nach ewig währen mußte,« fuhr sie fort. »Er ist das erste Werkzeug meiner Todesstrafe gewesen. Ich stand der Tat noch zu nahe, hatte die Füße noch allzu tief im Blute stehen, um die Gerechtigkeit nicht zu hassen. Solange dies Gran Haß mein Herz verwirren würde, das begriff ich, würde dort noch ein Rest verdammungswürdiger Leidenschaft sein; ich habe nichts zu verzeihen gehabt, ich habe nur den Winkel, wo der Böse sich verbarg, der Fäulnis überliefert. Wie mühsam dieser Sieg auch gewesen ist, er ist vollständig.«
    Der Generalprokurator ließ Véronique ein tränenüberströmtes Antlitz sehen. Die menschliche Gerechtigkeit schien Gewissensbisse zu haben. Als die Büßerin ihren Kopf umdrehte, um fortfahren zu können, begegnete sie dem in Tränen gebadeten Gesichte eines Greises: Grossetêtes, der die Hände flehend nach ihr ausstreckte, wie wenn er sagen wollte: »Es ist genug!« In diesem Augenblicke hörte die erhabene Frau einen solchen Zusammenklang von Seufzern und Tränen, daß sie, von so viel Sympathien bewegt, den Balsam dieser allgemeinen Verzeihung nicht ertragen konnte und von einer Schwäche ergriffen wurde. Als sie die Quellen ihrer Kraft versiegt sah, fand ihre Mutter die Arme der Jugend wieder, um sie fortzutragen.
    »Christen,« sagte der Erzbischof; »ihr habt die Beichte dieser Büßerin gehört; sie bestätigt das Urteil der menschlichen Gerechtigkeit und kann ihre Gewissensbisse oder Besorgnisse beruhigen. Hierin müßt ihr nun neue Gründe gefunden haben, eure Gebete mit denen der Kirche zu vereinigen, die Gott das heilige Meßopfer darbietet, um seine Barmherzigkeit zugunsten einer so großen Reue anzuflehen!«
    Der Gottesdienst wurde wiederaufgenommen; Véronique folgte ihm mit einer Miene, auf der sich eine solche innere Zufriedenheit ausdrückte, daß sie in aller Augen nicht mehr die nämliche Frau zu sein schien. Ein lauterer Ausdruck lag auf ihrem Antlitz, der des naiven und reinen jungen Mädchens würdig war, das sie in ihrem alten Vaterhause gewesen. Der Anbruch der Ewigkeit ließ bereits ihre Stirn licht werden und vergoldete ihr Antlitz mit himmlischen Farben. Zweifelsohne hörte sie mystische Harmonien und schöpfte die Lebenskraft in dem Verlangen, sich zum letzten Male mit Gott zu vereinigen. Pfarrer Bonnet kam an ihr Bett und erteilte ihr die Absolution. Der Erzbischof verabreichte ihr die heiligen Oele mit einem väterlichen Gefühle, das allen Anwesenden bewies, wie teuer ihm dies verirrte, aber zurückgekehrte Lamm war. Durch eine heilige Salbung schloß der Prälat für die Dinge dieser Welt diese Augen, die so viel Leid verursacht hatten, und drückte auf die allzu beredten Lippen das Siegel der Kirche. Die Ohren, durch welche die schlechten Eingebungen eingedrungen waren, wurden für immer verschlossen. Alle die durch die Reue ertöteten Sinne wurden so geweiht und der Geist des Bösen konnte keine Macht über diese Seele haben. Niemals verstanden Anwesende die Größe und Tiefe eines Sakramentes besser, als die, welche die durch die Geständnisse dieser sterbenden Frau gerechtfertigten Sorgen der Kirche sahen. So vorbereitet, empfing Véronique Jesu Christi Leib mit einem Ausdruck der Freude und der Hoffnung, welcher das Eis der Ungläubigkeit schmolz, an dem sich der Pfarrer so viele Male gestoßen hatte; der vernichtete Roubaud wurde in dem Augenblicke Katholik! Dies Schauspiel war rührend und schrecklich zugleich, aber es wurde feierlich durch die Anordnung der Dinge bis zu dem Punkte, daß die Malerei dort vielleicht das Sujet für eines ihrer Meisterwerke gefunden haben würde. Als die Sterbende nach dieser Trauerepisode das Evangelium St. Johannis beginnen hörte, gab sie ihrer Mutter einen Wink, ihren Sohn heranzuführen, der von dem Lehrer herbeigebracht worden war. Als die der Verzeihung teilhaftig gewordene Mutter Francis auf der Estrade knien sah, glaubte sie das Recht zu haben, ihre Hände auf sein Haupt legen zu dürfen, um ihn zu segnen; dann stieß sie den letzten Seufzer aus. Die alte Sauviat stand da, aufrecht, immer auf ihrem Posten, wie seit zwanzig Jahren. Diese in ihrer Art heroische Frau schloß die Augen ihrer Tochter, die so viel gelitten hatte, und küßte sie, eins nach dem anderen. Alle die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher