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Der Dorfpfarrer (German Edition)

Der Dorfpfarrer (German Edition)

Titel: Der Dorfpfarrer (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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meine letzte Stunde schneller herbei.«
    »Berechnungen sehe ich darin, mein Kind,« sagte der Erzbischof ernst. »In Ihnen hausen noch sehr starke Leidenschaften; die ich erloschen wähnte, ist ...«
    »Oh, ich schwöre es Ihnen, Hochwürden,« sagte sie, den Prälaten unterbrechend und ihm entsetzensstarre Augen zeigend, »mein Herz ist so geläutert, wie es das eines schuldigen und reuigen Weibes sein kann: in meinem ganzen Sein wohnt nur noch der Gedanke an Gott!«
    »Lassen wir der himmlischen Gerechtigkeit ihren Lauf, Hochwürden,« sagte der Pfarrer mit bewegter Stimme. »Vier Jahre lang widersetze ich mich diesem Gedanken, er ist die Ursache der einzigen Meinungsverschiedenheiten, die zwischen meinem Beichtkinde und mir bestanden haben. Ich habe bis auf den Grund dieser Seele geschaut, die Erde hat kein Recht mehr auf sie. Wenn die Tränen, die Seufzer, die Zerknirschung, die nun schon fünfzehn Jahre währt, auf einem, zwei Wesen gemeinsamen Fehl gelastet haben, so dürfen Sie gewiß sein, daß diesen langen und schrecklichen Gewissensbissen nicht die mindeste Sinnenfreude innegewohnt hat. Seit langem mischt die Erinnerung ihre Flammen nur noch mit denen der glühendsten Reue. Ja, viele Tränen haben ein so großes Feuer ausgelöscht. Ich bürge,« sagte er, seine Hand über Madame Graslins Haupte mit tränenfeuchten Augen ausstreckend, »ich bürge für die Reinheit dieser erzengelgleichen Seele. Im übrigen sehe ich in diesem Verlangen den Gedanken einer Genugtuung einer abwesenden Familie gegenüber, die Gott hier durch eines jener Ereignisse, durch die seine Vorsehung offenbar wird, vor Augen gestellt zu haben scheint.«
    Véronique ergriff des Pfarrers Hand und küßte sie.
    »Oft sind Sie recht hart gegen mich gewesen, lieber Seelenhirt, doch in diesem Augenblick entdecke ich, wo Sie Ihre apostolische Sanftmut verschließen! Seien Sie,« sagte sie, den Erzbischof ansehend, »Sie, der Sie das Oberhaupt dieses Winkels des Königreichs Gottes sind, in diesem Augenblicke der Schmach meine Stütze. Als die letzte der Frauen werde ich mich neigen, und sie sollen mich als eine, der verziehen wurde und die vielleicht denen gleich ist, die nicht gefehlt haben, aufheben.« Der Erzbischof verharrte in Schweigen, sonder Zweifel war er damit beschäftigt, alle Ueberlegungen, die sein Adlerauge erblickte, abzuwägen.
    »Hochwürden,« sagte der Pfarrer, »die Religion hat schwere Wunden empfangen. Würde diese Rückkehr zu alten Bräuchen, die notwendig wird durch die Größe des Fehls und der Reue, nicht ein Triumph sein, den man uns anrechnen würde?«
    »Man wird sagen, wir wären Fanatiker; man wird behaupten, wir hätten diese grausame Szene verlangt ...« Und der Erzbischof versank wieder in Nachdenken.
    In diesem Moment traten Horace Bianchon und Roubaud ein, nachdem sie angeklopft hatten. Véronique erblickte ihre Mutter, ihren Sohn und alle Leute des Hauses im Gebet. Die Pfarrer der beiden Nachbargemeinden waren zu Monsieur Bonnets Beistande und vielleicht zur Begrüßung des berühmten Prälaten gekommen, den der französische Klerus einstimmig für die Ehre des Kardinalats ausersah, indem er hoffte, daß das Licht seiner wahrhaft gallikanischen Einsicht das heilige Kollegium erleuchten würde. Horace Bianchon reiste nach Paris zurück; er wollte der Sterbenden Lebewohl sagen und ihr für ihre Freigebigkeit danken. Er kam mit langsamen Schritten, da er aus der Haltung der beiden Priester erriet, daß es sich um die Wunde des Herzens handelte, welche die des Leibes hervorgerufen hatte. Er nahm Véroniques Hand, legte sie auf das Bett und fühlte ihr den Puls. Eine Szene war das, die das tiefste Schweigen: das einer Sommernacht auf dem Lande, feierlich machte. Der große Salon, dessen Flügeltüre offen blieb, war erleuchtet, um der kleinen Gesellschaft von Leuten, die alle kniend beteten – nur die beiden Priester saßen und lasen in ihrem Brevier –, Licht zu spenden. Zu beiden Seiten des prachtvollen Paradebettes befanden sich der Erzbischof in seinem violetten Gewande, der Pfarrer und dann die beiden Männer der Wissenschaft.
    »Sie ist bis in den Tod erregt!« sagte Horace Bianchon, der, ähnlich wie alle Menschen von höchstem Talent, oft ebenso große Worte wählte, wie es die Schauspiele waren, denen er beiwohnte.
    Wie von einem inneren Feuer getrieben, erhob sich der Erzbischof; er rief Monsieur Bonnet und, sich nach der Türe wendend, durchquerten sie das Gemach, den Salon und traten auf die
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