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Der Dorfpfarrer (German Edition)

Der Dorfpfarrer (German Edition)

Titel: Der Dorfpfarrer (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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rief der Generalprokurator.
    »Sie ist stoisch in der Weise der alten Zenoschüler,« sagte der Lehrer.
    Schweigend gingen alle die Balustrade entlang und schauten in die Ebene, auf welche die Feuer der untergehenden Sonne Schimmer des schönsten Rot warfen.
    »Für mich, der ich dies Land vor dreizehn Jahren gesehen habe,« sagte der Erzbischof, auf die fruchtbaren Flächen, das Tal und das Gebirge von Montégnac hindeutend, »ist dies Wunder ebenso außergewöhnlich wie das, dessen Zeuge ich eben gewesen bin: denn warum lassen Sie Madame Graslin aufbleiben, sie müßte im Bett liegen ...«
    »Sie tat es,« sagte die Sauviat; »nach zehn Tagen aber, während welchen sie das Bett nicht verlassen hat, wollte sie aufstehen, um das Land zum letzten Male zu sehen.«
    »loh begreife, daß sie gewünscht hat, ihrer Schöpfung Lebewohl zu sagen,« sagte Monsieur de Granville, »aber sie lief Gefahr, hier auf der Terrasse zu sterben.«
    »Monsieur Roubaud hatte uns befohlen, ihr nicht zu widersprechen,« sagte die Sauviat.
    »Welch ein Wunder!« rief der Erzbischof, dessen Augen nicht müde wurden, über die Landschaft hinzuschweifen. »Sie hat die Wüste fruchtbar gemacht! – Doch wir wissen, mein Herr,« fügte er, Gérard ansehend, hinzu, »daß Ihre Wissenschaft und Ihre Arbeiten viel dazu beigetragen haben.«
    »Wir sind nur ihre Arbeiter gewesen,« sagte der Bürgermeister, »wir sind nur die Hände, der Gedanke ist sie!«
    Die Sauviat verließ die Gruppe, um den Entscheid des Pariser Arztes zu hören.
    »Wir haben Heroismus nötig,« sagte der Generalprokurator zum Erzbischof und zum Pfarrer, »um Zeugen dieses Todes zu sein.«
    »Ja,« sagte Monsieur Grossetête; »doch für solch eine Freundin muß man Großes tun.«
    Nachdem diese Personen, die sich alle den ernstesten Gedanken hingaben, einige Male hin und her gegangen waren, sahen sie zwei von Madame Graslins Pächtern auf sich zu kommen, die erklärten, von dem ganzen Flecken abgeschickt worden zu sein, der in schmerzlicher Ungeduld auf den Befund des Pariser Arztes harre.
    »Man konsultiert gerade, und wir wissen noch nichts, meine Freunde,« antwortete ihnen der Erzbischof.
    Da eilte Monsieur Roubaud herbei und sein beschleunigter Schritt trieb den eines jeden an.
    »Nun?« fragte der Bürgermeister ihn.
    »Sie hat keine achtundvierzig Stunden mehr zu leben!« antwortete Monsieur Roubaud. »In meiner Abwesenheit ist das Uebel zur völligen Entfaltung gekommen. Monsieur Bianchon begreift nicht, wie sie noch hat gehen können. Diese, so seltenen Phänomen entspringen immer einer großen Exaltation. Folglich, meine Herren,« sagte der Arzt zum Erzbischof und zum Pfarrer, »gehört sie Ihnen. Die Wissenschaft ist machtlos; und mein berühmter Kollege meint, Sie würden kaum die für Ihre Zeremonien notwendige Zeit haben.«
    »Beginnen wir mit den vierundzwanzigstündigen Gebeten,« sagte der Pfarrer zu seinen Pfarrkindern, indem er sich zurückzog. »Zweifelsohne geruht Seine Gnaden die letzte Oelung zu erteilen?«
    Der Erzbischof neigte sein Haupt, er vermochte nichts zu sagen, seine Augen schwammen in Tränen. Jeder setzte sich, lehnte und stützte sich auf die Balustrade und blieb in Gedanken versunken. Die Kirchenglocken sandten einige Trauertöne herüber. Dann hörte man die Schritte der ganzen Bevölkerung, die sich nach der Kirchenhalle stürzte. Die Schimmer angezündeter Kerzen drangen durch die Bäume von Monsieur Bonnets Garten, Gesänge wurden laut.
    Auf den Feldern herrschten nur noch die roten Schimmer der Dämmerung, alle Vogelgesänge hatten aufgehört. Nur der Laubfrosch gab noch seinen langen, klaren und melancholischen Ton von sich.
    »Tun wir unsere Pflicht,« sagte der Erzbischof, der langsamen Schritts und wie entmutigt ging.
    Die Konsultation hatte im großen Schloßsalon stattgefunden. Dieser riesige Raum stand in Verbindung mit einem mit roten Damastmöbeln versehenen Galazimmer, worin der prunkliebende Graslin einen Bankiersaufwand entfaltet hatte. In vierzehn Jahren hatte Véronique es keine sechs Mal betreten; große Räumlichkeiten hatten gar keinen Zweck für sie gehabt, hatte sie doch niemals empfangen. Doch die Anstrengung, die sie eben gemacht, um ihrer letzten Verpflichtung nachzukommen und um ihre letzte Empörungen zu bändigen, hatte ihr ihre Kräfte genommen, sie konnte nicht mehr in ihr Zimmer hinaufgehen. Als der berühmte Arzt die Hand der Kranken ergriffen und den Puls gefühlt hatte, sah er Monsieur Roubaud an, indem er
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