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Der Dorfpfarrer (German Edition)

Der Dorfpfarrer (German Edition)

Titel: Der Dorfpfarrer (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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Terrasse hinaus, wo sie einige Momente hin und her gingen. Im Moment, wo sie zurückkehrten, nachdem sie diesen Fall geistlicher Disziplin beredet hatten, kam Roubaud ihnen entgegen.
    »Monsieur Bianchon läßt Ihnen durch mich sagen, Sie möchten sich eilen; Madame Graslin stirbt in einer bei den außerordentlichen Schmerzen der Krankheit seltsamen Erregung.«
    Der Erzbischof beeilte seine Schritte und sagte beim Eintreten zu Madame Graslin, die voller Angst nach ihn hinblickte:
    »Sie sollen befriedigt werden.«
    Bianchon hielt immer noch den Puls der Kranken; er ließ sich eine Bewegung der Ueberraschung merken und warf einen Blick auf Roubaud und die beiden Priester.
    »Hochwürden, dieser Leib gehört nicht mehr zu unserer Kompetenz: Ihr Wort hat Leben verliehen, wo der Tod war. Sie machen an ein Wunder glauben!«
    »Seit langem ist Madame Graslin nur noch Seele!« sagte Roubaud, dem Véronique mit einem Blicke dankte.
    In diesem Augenblick gab ein Lächeln, worin sich das Glück aussprach, das ihr der Gedanke an eine vollständige Sühne verursachte, ihrem Gesichte genau die Unschuldsmiene zurück, die sie mit achtzehn Jahren besessen hatte. Alle die mit schrecklichen Falten darauf eingeprägten Erregungen, die dunklen Farben, die fahlen Male, die Einzelheiten, die das vor kurzem so schöne Antlitz so furchtbar machten, als es nur Schmerz ausdrückte, kurz, die Veränderungen jedweder Art verschwanden; allen schien es, als ob Véronique bislang eine Maske getragen habe und daß diese Maske falle. Zum letzten Male vollzog sich das wunderbare Phänomen, durch welches sich auf dem Gesichte dieses Geschöpfes Leben und Gefühle ausdrückten. Alles in ihr läuterte sich, erhellte sich, und es lag auf ihrem Antlitze etwas wie der Widerschein von den Flammenschwertern der wachehaltenden Engel, die sie umgaben. Sie wurde, was sie gewesen war, als Limoges sie die »schöne Madame Graslin« nannte. Die Gottesliebe zeigte sich viel machtvoller, als es die schuldvolle Liebe getan hatte: die eine hob einst die Kräfte des Lebens hervor, die andere entfernte alle Schwächen des Todes. Man hörte einen erstickten Schrei: die Sauviat zeigte sich, sie flog bis ans Bett und rief:
    »Endlich sehe ich doch mein Kind wieder!«
    Der Ausdruck dieser alten Frau, als sie die beiden Worte: mein Kind, ausstieß, erinnerte so lebhaft an die erste Kinderunschuld, daß die Zuschauer bei diesem schönen Tode alle den Kopf wegwandten, um ihre Bewegung zu verbergen. Der berühmte Arzt ergriff Madame Graslins Hand und küßte sie, dann reiste er ab. Das Geräusch seines Wagens tönte inmitten des ländlichen Schweigens wieder, indem es erklärte, daß keine Hoffnung bestünde, die Seele dieses Landes zu erhalten. Der Erzbischof, der Pfarrer, der Arzt, alle die sich ermüdet fühlten, gingen fort, um ein wenig Ruhe zu suchen, als Madame Graslin selbst für einige Stunden einschlummerte. Dann, als sie bei Morgengrauen aufwachte, forderte sie, daß man die Fenster öffne. Ihre letzte Sonne wollte sie aufgehen sehn.
    Um zehn Uhr morgens kam der Erzbischof, in seine oberpriesterlichen Gewänder gekleidet, in Madame Graslins Gemach. Ebenso wie Monsieur Bonnet setzte der Prälat ein so großes Vertrauen in diese Frau, daß sie ihr keine Ermahnungen über die Grenzen zu teil werden ließen, in welchen sich ihre Geständnisse zu halten hatten. Véronique bemerkte einen zahlreicheren Klerus, als zur Montégnacer Kirche gehörte, denn der aus den Nachbargemeinden hatte sich mit ihm zusammengetan. Hochwürden sollten vier Pfarrer beistehen. Die prachtvollen Priestergewänder, die Madame Graslin ihrer lieben Pfarre geschenkt hatte, verliehen der Zeremonie einen großen Glanz. Acht Chorknaben in ihrem rot-weißen Kleide stellten sich vom Bett bis an den Salon in zwei Reihen auf; alle hielten sie einen jener prachtvollen bronzeverzierten Kerzenhalter, die Véronique aus Paris hatte kommen lassen. Kreuz und Kirchenbanner wurden auf jeder Seite der Estrade von zwei weißhaarigen Sakristanen gehalten. Dank der Hingebung der Leute hatte man bei der Salontür den der Sakristei entnommenen hölzernen Altar aufgestellt, geschmückt und hergerichtet, damit Hochwürden die Messe lesen konnte. Madame Graslin war gerührt über diese Sorgen, welche die Kirche nur königlichen Personen gewährt. Die beiden Flügel der nach dem Eßzimmer führenden Türe waren geöffnet worden, sie konnte das Erdgeschoß ihres Schlosses von einem großen Teile der Bevölkerung gefüllt
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