Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Doktor und das liebe Vieh

Der Doktor und das liebe Vieh

Titel: Der Doktor und das liebe Vieh
Autoren: James Herriot
Vom Netzwerk:
meine Jacke an und ging hinaus zum Auto. Als ich den Motor einschaltete, öffnete Soames die Wagentür und steckte den Kopf herein. Er sprach ruhig, aber seine Stimme klang wütend. »Ich werde Seine Lordschaft über diese Sache informieren. Und ich werde Mr. Farnon sagen, was für einen Assistenten er sich da an Land gezogen hat. Bei der Autopsie morgen wird sich herausstellen, daß Sie unrecht hatten, und dann bringe ich Sie vor Gericht.« Er knallte die Tür zu.
    Als ich wieder in der Praxis war, beschloß ich, auf meinen Chef zu warten, und während ich müßig dasaß, versuchte ich mich von dem Gefühl zu befreien, meine Karriere sei ruiniert, noch bevor sie begonnen hatte. Aber sooft ich auch alles überdachte, ich kam immer wieder zu dem Schluß, daß ich nicht anders hätte handeln können.
    Gegen ein Uhr nachts kehrte Farnon zurück. Die Gesellschaft seiner Mutter hatte anregend auf ihn gewirkt. Seine schmalen Wangen waren gerötet, und er roch angenehm nach Gin. Überrascht stellte ich fest, daß er einen Abendanzug trug, und obwohl der Smoking einen altmodischen Schnitt aufwies und in losen Falten an seinem knochigen Körper hing, sah er darin wie ein Botschafter aus.
    Er hörte sich schweigend meinen Bericht über das Pferd an. Gerade wollte er etwas dazu sagen, als das Telefon klingelte. »Ein ganz Später«, flüsterte er. Dann: »Ach, Sie sind es, Mr. Soames.« Er nickte mir zu und setzte sich in seinen Sessel. Lange Zeit sagte er nichts als »ja« und »nein« und »aha«; dann richtete er sich entschlossen auf und begann zu sprechen. »Ich danke für Ihren Anruf, Mr. Soames. Meines Erachtens hat Mr. Herriot das einzig Mögliche unter diesen Umständen getan... Nein, ich kann Ihnen nicht zustimmen. Es wäre grausam gewesen, das Tier seinem Schicksal zu überlassen. Eine unserer Pflichten ist es, Leiden zu verhindern... Ich bedaure, daß Sie das so ansehen, aber Mr. Herriot ist für mich ein hochqualifizierter Tierarzt. Ich an seiner Stelle hätte genauso gehandelt. Gute Nacht, Mr. Soames, ich sehe Sie morgen früh.«
    Ich war so erleichtert, daß ich am liebsten eine Laudatio auf meinen Chef gehalten hätte, aber dann sagte ich doch nur: »Danke.«
    Farnon holte eine Flasche Whisky aus dem Schrank mit der Glastür über dem Kaminsims. Er füllte ein hohes Glas zur Hälfte und schob es mir zu. Für sich goß er die gleiche Menge ein. In seinem Sessel zurückgelehnt, nahm er einen großen Schluck, starrte sekundenlang auf die bernsteinfarbene Flüssigkeit und blickte dann lächelnd auf. »Sie haben heute abend ganz schön was mitgemacht, mein Junge. Ihr erster Fall – und ausgerechnet Soames.«
    »Kennen Sie ihn gut?«
    »Ach, ich weiß alles über ihn. Er ist nicht mein Freund, das können Sie mir glauben. Man munkelt, daß er ein Gauner ist. Er soll sein Schäfchen schon lange im trocknen haben – und zwar auf Kosten Seiner Lordschaft. Eines Tages wird er einen Schnitzer machen und erwischt werden, schätze ich.«
    Der unverdünnte Whisky floß brennend in meinen Magen, aber ich hatte ihn nötig. »Ich wünsche mir nicht allzu viele Fälle wie den von heute abend, aber wahrscheinlich ist die tierärztliche Praxis meistens so.«
    »Na, nicht ganz«, erwiderte Farnon. »Allerdings weiß man nie, was einen erwartet. Es ist ein komischer Beruf, wissen Sie. Er bietet jedem von uns ungeahnte Möglichkeiten, sich zu blamieren.«
    »Aber gewiß hängt doch eine ganze Menge von dem Können des einzelnen ab.«
    »Bis zu einem gewissen Grad. Natürlich hilft es, wenn man gute Arbeit leistet, doch selbst wenn Sie ein echtes Genie sind, lauern Demütigung und Hohn auf Sie. Ich hatte mal einen berühmten Pferdespezialisten hier, der eine komplizierte Operation vornahm, und während des Eingriffs hörte das Pferd plötzlich auf zu atmen. Der Anblick des Mannes, der wie wahnsinnig auf den Rippen seines Patienten herumtanzte, brachte mir zum Bewußtsein, daß ich zeitlebens in ziemlich regelmäßigen Abständen ebenso dämlich aussehen würde.«
    Ich lachte. »Dann muß ich mich wohl am besten von Anfang an damit abfinden.«
    »So ist es. Tiere sind unberechenbar, also ist unser ganzes Leben unberechenbar. Es ist eine lange Geschichte von kleinen Triumphen und Katastrophen, und man muß wirklich an dem Beruf hängen, um durchzuhalten. Heute abend war es Soames, ein andermal wird’s jemand anders sein. Eines steht fest: Sie langweilen sich nie. Hier, nehmen Sie noch einen Whisky.«
    Ich trank den Whisky und ließ
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher