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Der Doktor und das liebe Vieh

Der Doktor und das liebe Vieh

Titel: Der Doktor und das liebe Vieh
Autoren: James Herriot
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mal«, knurrte Soames, »halten Sie mir hier keine Vorträge. Wollen Sie nun etwas für das Pferd tun oder nicht?«
    Ich wandte mich an den großen Mann in der Ecke. »Legen Sie ihm das Kummet über, ich will ihn untersuchen.«
    Mit dem Bügel über dem Kopf wurde das Pferd zum Stehen gebracht. Es zitterte und stöhnte, als ich eine Hand zwischen Rippen und Knie schob, um den Puls zu fühlen. Er war so schlecht, wie er nur sein konnte – ein rasendes, schwaches Klopfen. Ich hob mit zwei Fingern ein Augenlid an; die Schleimhaut war von einem dunklen Backsteinrot. Das Fieberthermometer zeigte vierzig Grad an.
    »Könnte ich bitte einen Eimer mit heißem Wasser, Seife und Handtuch haben?« sagte ich zu Soames.
    »Wofür, zum Teufel? Sie haben noch nicht richtig angefangen und wollen sich schon waschen?«
    »Ich möchte eine Rektaluntersuchung vornehmen. Wollen Sie mir bitte das Wasser bringen?«
    »Du lieber Himmel, so was hab ich noch nie erlebt.« Soames strich sich müde über die Augen und fuhr dann den großen Mann an: »Los, stehen Sie hier nicht herum. Holen Sie ihm sein Wasser, vielleicht geht’s dann endlich weiter.«
    Als das Wasser kam, seifte ich meinen Arm ein und schob ihn sanft in den After des Tieres. Ich fühlte deutlich die Verlagerung des Dickdarms auf der linken Seite und eine feste, geschwollene Masse, die nicht hätte sein dürfen. Als ich sie berührte, zitterte und stöhnte das Pferd von neuem.
    Ich wusch meine Arme und trocknete sie ab. Mein Herz hämmerte. Was sollte ich tun? Was konnte ich sagen?
    Soames stapfte vor der Box hin und her und brummte irgend etwas, während sich das Tier vor Schmerzen wand. »Passen Sie doch auf, zum Donnerwetter«, schrie er den Pferdeknecht an, der das Kummet festhielt. »Was machen Sie denn da?«
    Der große Mann antwortete nicht. Er hatte in keiner Weise schuld, aber er starrte Soames lediglich an.
    Ich holte tief Luft. »Alle Anzeichen deuten auf eine Darmverschlingung hin.«
    »Gut, wie Sie wollen. Das Pferd hat also eine Darmverschlingung. Dann tun Sie doch was, ja? Sollen wir hier die ganze Nacht herumstehen?«
    »Leider kann man nichts tun. Dagegen gibt es kein Mittel. Es kommt jetzt nur darauf an, das Tier so schnell wie möglich von seinen Schmerzen zu erlösen.«
    Soames verzog das Gesicht. »Kein Mittel? Das Tier von seinen Schmerzen erlösen? Was reden Sie da für Unsinn? Worauf wollen Sie hinaus?«
    »Ich schlage vor«, sagte ich mühsam beherrscht, »daß Sie mir gestatten, ihn auf der Stelle niederzustrecken.«
    »Was meinen Sie?« Soames starrte mich mit offenem Mund an.
    »Ich meine, daß ich ihn erschießen sollte, und zwar sofort. Ich habe einen Revolver im Auto.«
    Soames sah aus, als werde er gleich explodieren. »Ihn erschießen? Sind Sie verrückt? Wissen Sie, wieviel der Braune wert ist?«
    »Darauf kommt es nicht an, Mr. Soames. Das Pferd hat seit heute früh Furchtbares durchgemacht, und nun stirbt es. Sie hätten mich viel eher holen sollen. Es könnte noch ein paar Stunden leben, aber der Tod ist unvermeidlich. Und es hat pausenlos furchtbare Schmerzen.«
    Soames verbarg sein Gesicht in den Händen. »O Gott, warum mußte mir das passieren? Seine Lordschaft ist verreist, sonst würde ich ihn rufen, damit er Ihnen den Kopf zurechtsetzt. Ich sage Ihnen, wenn Ihr Chef hergekommen wäre, er hätte dem Pferd eine Spritze gegeben und es in einer halben Stunde wieder hingekriegt. Hören Sie, können wir nicht bis heute abend warten, damit Mr. Farnon sich den Braunen noch einmal ansieht?«
    Irgend etwas in mir reagierte freudig auf diesen Vorschlag. Eine Morphiumspritze geben und dann die Verantwortung einem andern überlassen. Nichts leichter als das. Ich sah auf das Pferd. Es hatte seine sinnlosen Kreisbewegungen wiederaufgenommen – ein verzweifelter Versuch, sich von seinen Schmerzen zu befreien. Jetzt hob es den Kopf und wieherte leise. Das klang so verzagt, so hilflos, und ich konnte es einfach nicht mehr ertragen.
    Ich lief hinaus und holte den Revolver aus dem Wagen. »Halten Sie ihm den Kopf fest«, sagte ich zu dem großen Mann und setzte die Mündung zwischen die trüben Augen. Ein scharfer Knall, und das Pferd brach zusammen. Es schlug dumpf auf dem Torf auf und rührte sich nicht mehr.
    Ich wandte mich zu Mr. Soames, der ungläubig auf den Leichnam starrte. »Mr. Farnon wird morgen früh herüberkommen und eine Autopsie vornehmen. Ich möchte, daß er Lord Hulton die Richtigkeit meiner Diagnose bestätigt.«
    Damit zog ich
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