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Der Doktor und das liebe Vieh

Der Doktor und das liebe Vieh

Titel: Der Doktor und das liebe Vieh
Autoren: James Herriot
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der acht Meilen langen Fahrt las ich aus dem Gedächtnis den berühmten Klassiker Koliken bei Pferden von Caulton Reeks. Ich war das Buch im letzten Jahr so oft durchgegangen, daß ich ganze Passagen daraus wie Lyrik rezitieren konnte.
    Hier handelte es sich vermutlich um eine leichte Darmreizung, verursacht durch Futterwechsel oder zu fettes Gras. Die meisten Koliken kamen daher. Ein schneller Stoß Arekolin und vielleicht etwas Chlorodin zur Beruhigung, und alles würde in Ordnung sein.
    Ich war noch mit dieser glücklichen Vorstellung beschäftigt, als ich in einen makellos sauberen Hof einfuhr, der an drei Seiten von großen Ställen umgeben war. Davor stand ein breitschultriger, untersetzter Mann, der mit seiner karierten Mütze und Jacke, den gut geschnittenen Breeches und den glänzenden Gamaschen sehr flott aussah.
    Etwa dreißig Yards von dem Mann entfernt hielt ich an, und als ich ausstieg, drehte er mir langsam und bedächtig den Rücken zu. Ich ging über den Hof, ließ mir Zeit und wartete, daß der andere sich umwenden sollte, aber er stand regungslos, die Hände in den Taschen, und blickte nach der anderen Seite. Ich machte ein paar Schritte hinter ihm halt, aber er drehte sich noch immer nicht um. Nach einer Weile hatte ich es satt, seinen Rücken anzustarren, und sagte: »Mr. Soames?« Zuerst rührte sich der Mann nicht, dann wandte er sich sehr langsam um. Er hatte einen dicken, roten Hals, eine gesunde Gesichtsfarbe und kleine, stechende Augen. Ohne zu antworten, musterte er mich von Kopf bis Fuß, nahm mit einem Blick meinen abgetragenen Regenmantel, meine Jugend, mein unerfahrenes Aussehen zur Kenntnis. Dann sah er wieder weg.
    »Ja, ich bin Mr. Soames.« Er betonte das Mr., als bedeute es ihm besonders viel. »Ich bin ein sehr guter Freund von Mr. Farnon.«
    »Mein Name ist Herriot.«
    Soames schien es nicht gehört zu haben. »Ja, Mr. Farnon ist ein tüchtiger Mann. Wir sind gute Freunde.«
    »Eines Ihrer Pferde hat also eine Kolik?« Ich wünschte, meine Stimme hätte nicht so schrill und unsicher geklungen.
    Soames’ Blick war noch immer auf den Himmel gerichtet. Er pfiff leise eine kleine Melodie vor sich hin, bevor er sprach. »Da drinnen«, sagte er und wies mit dem Kopf auf einen der Ställe. »Eines der besten Jagdpferde Seiner Lordschaft. Braucht fachmännische Behandlung, meine ich.« Er legte den Ton leicht auf fachmännisch.
    Ich öffnete die Tür, ging hinein und blieb stehen, als wäre ich gegen eine Wand gelaufen. Es war ein sehr großer Stall, mit dicken Torfpolstern ausgelegt. Ein braunes Pferd stolperte unablässig in dem Kreis herum, den es in den Torf getreten hatte. Es war vom Maul bis zum Schwanz in Schweiß gebadet, die Nüstern waren geweitet, die Augen starrten ins Leere. Der Kopf schwankte bei jedem Schritt, und durch die zusammengepreßten Zähne tropften große Mengen Schaum auf den Boden. Von dem Körper des Tieres stieg übelriechender Dampf auf.
    Mein Mund war trocken. Ich hatte Mühe zu sprechen und brachte nur ein leises Flüstern zustande. »Seit wann geht das schon so?«
    »Ach, es fing heute morgen mit leichten Bauchschmerzen an. Ich hab ihm den ganzen Tag über schwarze Tropfen gegeben, vielmehr der Bursche da hat sie ihm gegeben. Würde mich gar nicht wundern, wenn er’s verhunzt hätte, wie er alles verhunzt.«
    Jetzt sah ich, daß jemand in einer dunklen Ecke stand: ein großer, fetter Mann mit einem Kummet in der Hand.
    »Ich hab die Tropfen ganz richtig in ihn reingekriegt, Mr. Soames, aber sie haben ihm nicht geholfen.« Der große Mann machte ein ängstliches Gesicht.
    »Und Sie wollen was von Pferden verstehen?« fragte Soames. »Ich hätte mich selbst drum kümmern sollen, dann würde es ihm jetzt besser gehen.«
    »Um dem Tier zu helfen, brauchen Sie mehr als schwarze Tropfen«, warf ich ein. »Dies ist keine gewöhnliche Kolik.«
    »Was denn sonst, zum Teufel?«
    »Das kann ich erst sagen, wenn ich es untersucht habe, aber solche starken, anhaltenden Schmerzen könnten auf eine Darmverschlingung schließen lassen.«
    »Ach was, Darmverschlingung! Ein bißchen Bauchschmerzen hat er, das ist alles. Er hat den ganzen Tag über noch nichts gemacht und braucht etwas zum Abführen. Haben Sie Arekolin mitgebracht?«
    »Wenn es eine Darmverschlingung ist, wäre Arekolin das letzte, was man ihm geben sollte. Er hat jetzt schon schlimme Schmerzen, aber Arekolin würde ihn zum Wahnsinn treiben. Es zieht die Eingeweidemuskeln zusammen.«
    »Verdammt noch
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