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Der Dieb der Finsternis

Der Dieb der Finsternis

Titel: Der Dieb der Finsternis
Autoren: Richard Doetsch
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und ging damit zu einem der Tümpel aus kochend heißem Wasser und Schlamm. Er tauchte den Kelch vorsichtig hinein, hielt ihn nur am juwelenbesetzten Stiel fest und füllte das Gefäß bis zum Rand.
    »Das passt wunderbar zu diesem Ort. Bevor du stirbst«, Venue kehrte in die Kammer zurück, baute sich vor Iblis auf und hielt den Kelch in die Höhe, »taufe ich dich im Namen der Finsternis und im Namen von Schmerz und Leid, denn sie sind das Einzige, was dir von heute an bis in alle Ewigkeit beschert sein wird.«
    Venue schüttete Iblis den siedend heißen Brei ins Gesicht. Er ergoss sich über seine linke Gesichtshälfte, zischte, als er mit Iblis’ makelloser Haut in Berührung kam, dampfte und tropfte zur Seite weg, bis die graue Schmiere die gesamte Gesichtshälfte bedeckte und der Gestank von kochendem Fleisch die Luft erfüllte.
    Iblis riss die Augen auf und stieß einen stummen Schrei aus, während er sich auf dem Boden wälzte und mit den Händen nach seinem schmelzenden Fleisch griff.
    »Auf dass die letzten Augenblicke deines Lebens die reine Agonie sein mögen!«, rief Venue.
    Ein Ruck ging durch Iblis’ Körper. Im nächsten Moment lag er steif und regungslos da.
    Venue drehte sich zu Michael und KC um, die mit dem Rücken vor der Wand unter der einsamen Fackel kauerten, die mit flackernder Flamme das grausame Schauspiel und den Schatz erhellten.
    »Keine weiteren Mätzchen mehr«, sagte Venue, schaute die beiden Wachhunde an und zeigte mit den Fingern auf Michael und KC. »Tötet sie.«
***
    In dem Durcheinander, das entstand, als Iblis von der Kugel getroffen wurde, bekam niemand mit, dass Michael das Feuerzeug aus seiner hinteren Hosentasche zog – Silvius’ Wegwerffeuerzeug, wie man es überall für neunundneunzig Cents kaufen konnte. Nun hielt Michael es hinter dem Rücken in seinen gefesselten Händen. Und noch etwas anderes fiel niemandem auf: Der dünne graue Streifen Segeltuch, der von seiner Struktur und Farbe nicht von der Wand der Kammer zu unterscheiden war und vom Fußboden bis zur Fackel über ihren Köpfen reichte.
    Die Armen auf dem Rücken, knipste Michael das Feuerzeug an und presste seinen Körper gegen die Wand.
    Die kleine Flamme erfasste den unteren Zipfel der provisorischen Zündschnur. Sofort fing der Stoffstreifen Feuer, das sich die Wand und am Griff der Fackel emporarbeitete. Mit einem lauten Krachen explodierte der obere Teil der Fackel und löschte die Flamme.
    Schlagartig wurde es stockdunkel in der Höhle.
    Michael hatte den Stoffstreifen von einem der Segel abgeschnitten, ihn auf ganzer Länge mit dem Schießpulver von zwölf Kugeln bestreut, den Stoff dann zusammengerollt und damit eine Zündschnur hergestellt. Er hatte sie mit Pech versiegelt, das von den Fackeln stammte, und ebenfalls Pech benutzt, um die provisorische Zündschnur an der Wand und an der Fackel zu befestigen. Genau unter der Fackelflamme brachte er einen kleinen Sprengsatz an, der aus dem Schießpulver von sechs Pistolenkugeln bestand.
    KC tastete nach der Taschenlampe, die an Michaels Gürtel klemmte.
    Er griff nach ihrer Hand. »Kein Licht«, sagte er.
    »Aber …«
    »Halt dich an mir fest«, flüsterte Michael ihr ins Ohr.
    »Warum?«
    »Hör nicht auf die Stimmen.«
    »Was?« KC war völlig verwirrt.
***
    KC versuchte mit aller Macht, die Phobie ihrer Kindheit zu verdrängen, die Furcht vor der Dunkelheit, jedoch vergeblich. Sie verspürte die gleiche Angst wie in der Zisterne in Istanbul, presste den Kopf gegen Michaels Schulter und schlang die Arme um seinen Oberkörper.
    Als die Dunkelheit KC verschluckte, überfiel sie Panik. Die boshaften Stimmen sämtlicher Urängste flüsterten ihr ins Ohr. Die Furcht vor der Finsternis, die sie seit ihrer Kindheit gepeinigt hatte, kam zurück und wurde schlimmer denn je. Denn dieses Mal war es nicht ihre Fantasie, die ihr einen Streich spielte. Die Schatten dieser Finsternis waren echt.
    Michael konnte spüren, wie KC zu zittern begann.
    »O Gott«, hauchte sie mit vor Angst bebender Stimme.
    Michael kannte das Gefühl des Wahnsinns, das sich ihrer bemächtigte. »Hör nicht auf das, was dein Verstand dir vorgaukelt, hör mit deinem Herzen«, flüsterte er. »Du hast mich gerettet. Ich verspreche dir, dass ich diesmal dich retten werde.«
    Im gleichen Moment erklangen auch in Michaels Kopf die Stimmen. Sie begannen mit einem Fauchen, kratzig und harsch, wie Kreide auf einer Schiefertafel, und ergriffen Besitz von seinem Verstand, während er versuchte,
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