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Der deutsche Goldrausch

Der deutsche Goldrausch

Titel: Der deutsche Goldrausch
Autoren: Laabs Dirk
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moralisches Recht ist, dass wir es bekommen.« Dann fügt er noch an, es gehe natürlich nicht darum, dass die Treuhandholding Eigentum komplett verkauft, sie solle vielmehr ausländische Investoren für die DDR-Wirtschaft interessieren, die »auf dem Marktplatz DDR vertreten sein möchten«.
    Der DDR-Wirtschaftsjournalist Lutz Rackow hakt nach: »Herr Gebhardt, es sind also Werte da, diese Werte gilt es zu sichern und in einen Fonds einzubringen, und von diesem Fonds kann man Anteilsscheine an die Bevölkerung ausgeben, ist das richtig interpretiert?«
    Das sei richtig, antwortet Gebhardt und fährt fort: »Dieser Besitztitel würde garantiert werden durch eine Urkunde. Wenn wir [die] Marktwirtschaft einführen wollen, dann muss natürlich das Volkseigentum zum Kapital gemacht werden, und wir alle müssen Besitzer werden.«
    Am Ende der Sendung meldet sich der DDR-Ökonomieprofessor Rudolf Streich zu Wort: »Die Umwandlung in Kapitalgesellschaften, die Bildung einer Holding etwa nach österreichischem Vorbild, die Mitwirkung von Aufsichtsräten – ja. Aber die kostenlose Ausgabe von irgendwelchen Anteilsscheinen, die keinen klar bemessbaren Kapitalanspruch verkörpern, das halte ich für eine Illusion, das ist – nehmen Sie es mir nicht übel – Stuss.« 6
     
    Die Anteilsscheine Stuss. So ähnlich sieht das auch Detlef Scheunert, Referent des Ministers für Schwermaschinenbau. Seit Ende 1989 beobachtet er, wie die DDR-Wirtschaft zerfällt. Welche Werte sollte man hier noch verteilen können? In seinem Ministerium kämpft man verzweifelt gegen das Chaos an. Doch Scheunert und seine Kollegen spüren deutlich: Sie haben kaum noch Autorität. Wenn sie die Betriebe besuchen, werden sie beschimpft, die Arbeiter fordern Reformen, mehr Gehalt und drohen ihnen manches Mal sogar Prügel an. Die Betriebsleiter begreifen schnell, dass ihnen im Ministerium niemand mehr helfen kann. Viele qualifizierte Mitarbeiter suchen sich eine neue Arbeit im Westen. Wer bleibt, will in D-Mark bezahlt werden, doch die Betriebsleiter haben kein Westgeld, nicht einmal Ostgeld. Die Betriebe begleichen ihre Rechnungen untereinander kaum noch. Sie nehmen sich die Waren gegenseitig nicht mehr ab, obwohl sie dazu per DDR-Gesetz eigentlich verpflichtet sind.

    Ostdeutsche Textilläden weigern sich, ostdeutsche Produkte zu ordern, denn die liegen wie Blei in den Regalen und sind noch dazu viel teurer als die Ware aus Asien. Die gibt es seit kurzem überall in der DDR zu kaufen. Die Betriebe in der DDR waren gezwungen, miteinander zu handeln, doch diesen Zwang spüren sie nicht mehr.
    Bis Ende 1989 war das anders. Die Betriebsleiter wussten genau, wie sie sich in der starren staatlichen Struktur zu verhalten hatten. Sie mussten der Kombinatsleitung Bericht erstatten, darüber standen das Industrieministerium und die Plankommission. Daneben gab es die Partei, die Gewerkschaft, die militärischen und paramilitärischen Einrichtungen im Betrieb. Die Strukturen suggerierten Halt und Planbarkeit. Nun ist all das beinahe über Nacht verschwunden. Der Leiter ist allein in seinem Betrieb, und Berlin, die Ministerien, die Parteiführung, sie alle sind weit weg.
    Viele der jüngeren Mitarbeiter des Ministeriums diskutieren nun offen. Früher rutschte dem einen oder anderen nach zu viel Bier oder Schnaps schon mal die Wahrheit heraus, doch nun halten sie sich auch nüchtern nicht mehr zurück: Man braucht dringend Hilfe. Am besten aus dem Westen. Am besten sofort. Kapital. Technologie-Know-how. Vertriebskompetenz. Zugang zu den Weltmärkten. Das erhofft sich auch Detlef Scheunert. Ohne Westdeutschland hat man keine Chance, da sind sich die meisten Technokraten im Ministerium einig. Er beobachtet, dass auch die Generaldirektoren und Betriebsleiter der volkseigenen Kombinate und Firmen das ähnlich sehen.
    Scheunert entgeht bei seinen Firmenbesuchen nicht, dass sich viele Betriebsleiter auf die Westhilfe einlassen. Für gewöhnlich beginnt es damit, dass der Westberater sagt: »Vor allem braucht ihr doch Hilfe mit dem Marketing und dem Vertrieb, nein? Da schicken wir euch jemanden. Der hilft euch.« Der potenzielle westdeutsche Konkurrent hat nun Zugang zu der Kundenkartei des DDR-Betriebs und kann sich einen Überblick über den Zustand der Firma verschaffen. So erkennt er schnell, welcher Mitarbeiter in dem Betrieb kompetent und wertvoll ist. Viele der Arbeiter werden von Westfirmen abgeworben. »Industriespionage par excellence«, denkt Scheunert.
    Hin und
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