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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod
Autoren: Meša Selimović
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verachtetes
Geschöpf, das ohne Grund auf seine nutzlose Kraft stolz ist. Diese wahnwitzige
Selbstsicherheit ist so überzeugend, daß sie wirkt, auch wenn wir sie verachten.
Es bleibt eine Furcht im Menschen – bei aller Gewißheit des Glaubens – vor
einer unbekannten Möglichkeit, vor Hexerei, vor geheimem Teufelswerk.
    Diese Frau hatte noch eine besondere
Kraft, die nicht eigentlich die ihre war, sondern die des Schlages, zu dem sie
gehörte. Ihre Haltung und ihre Bewegungen, sicher und gebieterisch (so wie sie
mir einen Platz wies), schienen gemildert, besänftigt zu werden durch etwas,
was ich nicht bestimmen konnte, durch lange Gewohnheit, durch den weichen
Glanz der von Wimperntusche beschatteten Augen in der Öffnung des Schleiers,
durch die Hand, die, gleich einem Schwanenhals gebogen, das eine Ende des
feinen Gewebes hielt, durch einen seltsamen Reiz, der wie Hexerei von ihr ausging.
Teufelstochter, dachte in mir der Bauer, sprach verwünschend in mir der
Derwisch, beide verwundert.
    Dämmerung stahl sich ins Zimmer,
weiß schimmerten nur ihr Schleier und ihre Hand. Wir saßen einander gegenüber
an den Seiten des Zimmers, zwischen uns die ungenügende Breite des Raumes und
quälende Erwartung.
    „Ich hatte Hafiz Muhamed rufen
lassen", sprach sie, beschützt vom Halbdunkel.
    Sie war unzufrieden. Wenigstens
schien es mir so.
    „Er hat mich gebeten, statt seiner
zu gehen. Er ist krank."
    „Gleichviel. Auch du bist ein Freund
unseres Hauses."
    „Ja"
    Ich wollte mehr sagen, wollte
feierlicher sprechen, etwa: Wäre ich's nicht, so hätte ich kein gutes
menschliches Wort verdient, wäre nicht der Aufmerksamkeit unseres Wohltäters
würdig; unseren Herzen hat sich dieses Haus eingeprägt ... und so weiter, etwas
wie in einem Lied, aber es kam verstümmelt heraus.
    Mägde brachten Kerzen und ein
Tablett.
    Ich wartete.
    Die Kerzen brannten zwischen uns,
links und rechts auf dem niedrigen runden Tisch. Sie kam mir näher vor und gefährlicher.
Ich wußte nicht, was sie plante.
    Ich hatte gemeint, man hätte mich
ihres Vaters wegen gerufen, und ich wäre gekommen, auch wenn ich nicht auf ein
Wunder gehofft, an einen glücklichen Zufall, an eine verborgene Möglichkeit,
die Rettung meines Bruders zu versuchen, geglaubt hätte. Zwischen Gesprächen
über Tod und Paradies hätte ich hier oder da das rechte Wort eingefügt, um
Gnade für ihn zu erbitten; vielleicht hätte es geholfen, vielleicht hätte er
etwas Gutes getan vor der großen Reise, von der wir nichts wissen, vielleicht
ein frommes Werk zu seinem Andenken hinterlassen. Vielleicht. Denn vor dem
Tode erinnern wir uns, daß uns zwei Engel auf den Schultern sitzen und unsere
bösen und guten Taten aufschreiben, und es liegt uns daran, unsere Rechnung zu
begleichen; schwerlich kann man sinnvoller sterben als mit einer edelmütigen
Tat, die bei den anderen frisch und ungetrübt in Erinnerung bleibt. Und er
könnte es tun. Für Ajni Effendi kam es gewiß mehr darauf an, seinen reichen
Schwiegervater nicht zu verärgern, als einen armen Menschen gefangenzuhalten,
wenn Alijaga entschiede, daß ihm diese so einfache Freisetzung, ohne Opfer und
ohne quälende Mühe, eine Stufe hinauf ins Paradies bedeuten würde. Niemals
hätte er leichter etwas verdient, und ich hatte nicht geglaubt, daß er mir's
abschlagen würde.
    Über sie aber wußte ich nichts,
weder, warum sie den Wunsch haben mochte, mit mir zu sprechen, noch, womit ich
ihr hätte dienen können. Es gelang mir nicht, irgendeine Verbindung zwischen
ihr und mir zu sehen.
    Wir standen
einander gegenüber wie zwei Krieger, die ihre Waffen hinterm Rücken verstecken,
wie zwei Gegner, die ihre Absichten verbergen; wir würden uns offenbaren, wenn
wir zum Angriff übergingen. Ich wartete noch, wollte sehen, was sie zu erobern,
was sie zu gewinnen trachtete; die Hoffnung war in mir noch lebendig, aber
nicht mehr so stark wie vorher, diese Frau war zu jung und zu schön, um an
Engel zu denken, die unsere Taten aufzeichnen. Für sie gab es nur diese Welt.
    Sie zauderte nicht lange, suchte
nicht lange nach Worten, sie verhielt sich wirklich wie ein Krieger, der in die
Schlacht rückt, ohne daß sein Schritt stockt, ohne daß er sich umblickt. Das
lag in ihrem Schlag, aber es geschah auch meinetwegen. Wenn man sich sonst
zurückhielt – vor mir tat man es nicht. Am Anfang folgte ich aufmerksam ihrer
absichtlich leisen Stimme,die den Klang einer Zurna [8] hatte, und ich lauschte
ihrer Rede, die einer Perlenkette
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