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Der demokratische Terrorist

Der demokratische Terrorist

Titel: Der demokratische Terrorist
Autoren: Jan Guillou
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die belgische Terrororganisation CCC (Cellules Communistes Combattantes) am Tag nach dem Attentat ein gemeinsames Kommunique in Umlauf brachten, in dem von ihrem »militärischen Angriff« auf den Hauptfeind NATO die Rede war, paßte auch das perfekt ins Bild.
    Dann folgte eine interessante Komplikation mit dem Hinweis auf Schweden. Die Alternative zu einer Fortsetzung des belgischdeutschen Geschäfts in Belgien sei offenbar »der wirklich große Schnitt in Schweden«. Aber, so hatte der mutmaßliche Martin Beer eingewandt, dazu fehle ein schwedischer Kollege mit den notwendigen Spezialkenntnissen, denn die seien »technisch hochkompliziert und erforderten einen neuen Maschinenpark, bei dem schon die Grundinvestitionskosten erheblich sein dürften«. Der schwedische Partner sei auch notwendig, um »die Marktlage in Schweden besser beurteilen zu können«.
    Die Drogenfahnder der FD 6 waren zu der Schlußfolgerung gelangt, daß die Terroristen jemanden suchten, der nicht nur Schwede sein und sich in Schweden auskennen mußte. Er sollte überdies militärtechnisch ausgebildet und versiert sein, eine Eigenschaft, die den westdeutschen Terroristen fast ausnahmslos fehlte. Sie hatten mit der Zeit gelernt, Bomben herzustellen - und das sogar recht geschickt. Und mit einfacheren Handfeuerwaffen konnten die meisten von ihnen zumindest notdürftig umgehen. Aber hier suchten sie offensichtlich einen Mann, der über ein breites Repertoire militärischen Wissens verfügen sollte. Und zudem wollten sie wohl ihr Arsenal mit schwereren Waffen erneuern.
    Dietmar Werth mußte sich widerwillig eingestehen, daß er selbst zu ungefähr den gleichen Schlüssen gekommen war. Was den schwedischen Teil des Telefongesprächs betraf, gab es keine andere Deutungsmöglichkeit, selbst wenn sich rein theoretisch denken ließ, daß es sich etwa um eine Investition in Lastwagen handelte, um irgendeinen spektakulären Transport von entführten Personen oder etwas Ähnliches zu arrangieren.
    Solche Aktionen paßten aber nicht zur modernen Strategie der Terroristen. Sie hatten die Entführungs-Strategie aufgegeben und wollten neuerdings »direkt« und mit »militärischen Aktionen« gegen den »Hauptfeind« zuschlagen.
    Die FD 6 in Hamburg hatte drei Fragen gestellt und sollte auf dem Dienstweg Antwort erhalten. Aber bei der Formulierung der Antworten würde man unausweichlich gleichzeitig den entscheidenden Entschluß treffen müssen. Die drei Fragen der FD 6 lauteten:
    1) Läßt sich die Identität einer oder beider Personen feststellen?
    2) Sind besondere Fahndungsmaßnahmen zu ergreifen?
    3) Sollte die Angelegenheit, vor allem was den Aspekt der Gewinnung von Erkenntnissen mit besonderen Methoden betrifft, dem Verfassungsschutz übergeben werden?
    Was mit der letzten, etwas unbeholfen und euphemistisch formulierten Frage gemeint war, war vollkommen klar. Die besonderen Methoden, die in Frage kommen konnten, bestanden also darin, jemanden zu finden, der den Wünschen der Terroristen entsprach, ihn nach St. Pauli zu schicken und darauf zu hoffen, daß jemand anbiß.
    Es war ungewöhnlich, daß die Terroristen diesmal außerhalb ihres Sympathisantenkreises, den sie gut kannten oder zumindest gut beurteilen konnten, einen Rekruten suchten. Ein unbekannter Schwede war etwas völlig anderes. Das eröffnete ganz andere Möglichkeiten, und das hatten sogar die Drogenfahnder begriffen.
    Der Grund für die Übergabe der Angelegenheit an den Verfassungsschutz, die dazu führen würde, daß der Kriminalpolizei eine fette Beute entging, war in sowohl verwaltungstechnischer wie gesetzlicher Hinsicht offenkundig. Die reguläre deutsche Polizei hat weitgehende Freiheiten, wenn es beispielsweise darum geht, das organisierte Verbrechen zu unterwandern oder Scheingeschäfte mit Drogenhändlern abzuschließen, um zu Beweisen zu kommen. Diese Unterwanderungstechnik hat jedoch einen Haken: den Beamtenstatus der Ermittler. Ein Beamter darf sich nicht strafbar machen, jedenfalls nicht außerhalb eines bestimmten Rahmens von Gesetzesübertretungen.
    Und die Verbrechen, in die ein Beamter verwickelt werden kann, der mit Terroristen in Berührung kommt, sind weit schwerer als alles, was sich beispielsweise ein Drogenfahnder der FD 6 in Hamburg erlauben durfte.
    Dem Verfassungsschutz war es auch nicht möglich, sein eigenes Personal in ein solches Abenteuer zu schicken. Ein Funktionsträger beim Verfassungsschutz ist ebenso Beamter mit entsprechender Verantwortung wie ein
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