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Der demokratische Terrorist

Der demokratische Terrorist

Titel: Der demokratische Terrorist
Autoren: Jan Guillou
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moderne Computertechnik hat Stimmen inzwischen zu einer fast ebenso sicheren Identifikationsquelle wie Fingerabdrücke gemacht. Die Ausrüstung des Wiesbadener BKA reicht aus, um eine gespeicherte Stimme mit fast hundertprozentiger Sicherheit wiederzuerkennen. Und damit begann die Sache ernst zu werden. Denn eine der Stimmen gehörte einem gewissen Horst Ludwig Hahn, 29 Jahre alt, einen Meter fünfundsiebzig groß, besondere Kennzeichen: eine Narbe auf der Stirn. Er war in der unteren linken Ecke des Fahndungsplakats zu finden, das die Bilder der 22 meistgesuchten deutschen Terroristen zeigte.
    Auf jeden war ein Kopfgeld von 50 000 DM ausgesetzt. Das rotlila Plakat mit den schwarzweißen Bildern war in mehr als einer Million Exemplaren verteilt worden und hing in jedem Amt, in jeder Behörde der Bundesrepublik, auch an der Tür zu Dietmar Werths Dienstzimmer. Vorsicht, Schußwaffen! stand am unteren Rand des Plakats.
    Die Identität des zweiten Gesprächspartners ließ sich nicht mit gleicher Sicherheit bestimmen. Seine Stimme war jedenfalls nicht archiviert, aber sein Dialekt sowie ein paar einfache Schlußfolgerungen hatten Dietmar Werth zu der Annahme gebracht, daß es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um einen gewissen Martin Beer handeln mußte: 25 Jahre alt, einen Meter fünfundneunzig groß, kräftiger Körperbau und auf dem linken Oberarm eine sechs Zentimeter lange Narbe.
    Auf Martin Beers Kopf waren ebenfalls 50 000 DM ausgesetzt.
    Sein Bild fand sich rechts unten auf dem Plakat.
    Also: Zwei Tage, nachdem sie in Hamburg einen Anschlag begangen hatten, hatten sich zwei der meistgesuchten Terroristen des Landes in dem Hurenviertel rund um die Reeperbahn aufgehalten. Sie hatten die Stadt nicht verlassen, so daß man davon ausgehen konnte, daß sie gegenwärtig von Hamburg aus operierten.
    Die beiden hatten über eine Entfernung von rund 200 Metern ein konspiratives Telefongespräch geführt, statt sich zu treffen. Der Schluß lag nahe, daß sie irgendwo auf St. Pauli konspirative Wohnungen besaßen. Übrigens gar nicht so dumm, sich gerade hier zu verstecken. Zwar sind die Kriminalbeamten von der Sitte ebenso wie die für die Bekämpfung von Gewaltverbrechen und Drogenvergehen zuständigen Polizisten auf St. Pauli ständig im Einsatz, einem Gebiet mit der höchsten Kriminalitätsdichte der Bundesrepublik. Dies bedeutet aber auch, daß die Aufmerksamkeit der Polizei auf andere Dinge gerichtet ist als auf terroristische Aktivitäten.
    Daraus hätte das BKA normalerweise den Schluß ziehen müssen, in diesem Viertel verstärkt zu fahnden. Falls sich die Terroristen irgendwo auf St. Pauli versteckt hielten, bestanden recht gute Aussichten, einen oder mehrere von ihnen zu finden.
    Kurz: Man würde die Zahl der Gesichter auf den überall im Land hängenden rotlila Plakaten verringern können, was die Steuerzahler auch billigerweise erwarten durften.
    Man durfte aber auch auf keinen Fall den Öffentlichkeitserfolg - die Ergreifung von ein oder zwei Terroristen unter großem Getöse - mit einem effektiven Ergebnis verwechseln. Der innere Kreis der deutschen Terroristen, der sogenannte harte Kern, war nie sonderlich groß gewesen und hatte im Verlauf von bald 20 Jahren immer wieder Verluste erlitten, ohne daß sich deswegen die Zahl der Terroristen verringert hätte. Es fiel ihnen leicht, Nachwuchs anzuwerben, und es schien ihre erklärte Taktik zu sein, nur Verluste zu ersetzen und den inneren Kreis nicht weiter zu vergrößern. Das war optimales Sicherheitsdenken; je mehr Eingeweihte, um so größer die Risiken.
    Aus diesem Blickwinkel war es strategisch also nicht sonderlich sinnvoll, einen oder zwei Terroristen zu ergreifen, wenn man nicht gleichzeitig einen größeren Schlag gegen die Zentrale führen konnte, gegen den Kopf der Hydra.
    Und hier ergab sich jetzt eine naheliegende und verführerische Möglichkeit, die die Lage angesichts der im BKA zu fassenden Beschlüsse komplizierte.
    Die nachträgliche Lektüre der Abschrift des Gesprächs, als feststand, daß es sich um zwei identifizierte Angehörige des harten Kerns der RAF handelte, ließ den Inhalt des Gesprächs sonnenklar erscheinen.
    Zunächst beglückwünschten sich die beiden Terroristen zu ihrem vor kurzem in Hamburg erfolgreich abgeschlossenen Geschäft (»Vorgestern« - was mit dem Zeitpunkt des Bombenanschlags übereinstimmte). Es folgte eine Anspielung auf die gelungene Zusammenarbeit mit den belgischen Kollegen. Da die RAF und
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