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Der demokratische Terrorist

Der demokratische Terrorist

Titel: Der demokratische Terrorist
Autoren: Jan Guillou
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hinunter, bog beim Stadttheater an der Wilhelmstraße ab und ging auf den Spazierwegen im Kurpark weiter. Das Wetter machte ihn zu einem einsamen Flaneur. Draußen im Teich schwammen zwei Stockenten, im übrigen schien die Gegend wie ausgestorben zu sein.
    Von Anfang an war Werth der ganze Fahndungsansatz viel zu weit hergeholt erschienen. Irgendein übereifriger Drogenfahnder von der FD6 (»Sonderermittlungen«) in Hamburg hatte sich eine Woche lang der wenig beneidenswerten Aufgabe gewidmet, sämtliche Gespräche aus zwei nebeneinanderliegenden Telefonzellen im Hurenviertel - einen Steinwurf von der Reeperbahn und der Herbertstraße entfernt - abzuhören und zu analysieren. Mein Gott, was mußte der arme Kerl für besoffenes Gequatsche und dummes Zeug mitangehört haben.
    Aber dann hatte sich in dem Mann irgendwie der Eindruck verfestigt, daß eines der Telefonate als konspiratives Gespräch von zwei Terroristen gedeutet werden mußte, mochte es auf den ersten Blick auch so wirken, als unterhielten sich zwei jüngere Geschäftsleute in gepflegtem Deutsch über ein vor kurzem abgeschlossenes Geschäft, als planten sie einen weiteren Vorstoß auf die Märkte Belgiens oder Schwedens.
    Das Gespräch hatte elf Minuten gedauert. Die automatische Aufzeichnung hatte es vermerkt: am Mittwoch, dem 16. November von 14.03 Uhr bis 14.14 Uhr. Die Abschrift umfaßte zwölf getippte Seiten in Dialogform, und das Gespräch selbst war der Form nach natürlich unschuldig und inhaltlich nichtssagend.
    Nur notierte der Computer seit einiger Zeit auch die angerufene Telefonnummer. Und dieses zweite Telefon befand sich in dem italienischen Restaurant Cuneo, was deshalb auffallend war, da zwischen Restaurant und Telefonzelle kaum mehr als 200 Meter lagen.
    Wie kommt es, hatte sich der Kollege von der Drogenfahndung FD 6 gefragt, daß zwei Personen elf Minuten lang ein geschäftliches Telefongespräch führen, wenn sie kaum anderthalb Minuten Fußweg voneinander entfernt sind? Wollten sie es nicht riskieren, zusammen gesehen zu werden?
    So war es zum Anfangsverdacht gekommen, und damit war das Ganze rein formal zum Fahndungsauftrag in einer Strafsache geworden. Aber statt der gewohnten Routine zu folgen, die Abschrift zu zerstören und das Gespräch im Computer zu löschen - denn diese sogenannte Überschuß-Information hatte offenkundig nichts mit strafbarem Drogenhandel zu tun, und die Abhörerlaubnis galt nur für Drogenstraftaten-, hatte sich der Drogenfahnder von der FD 6 mit der Abschrift hingesetzt und seiner Phantasie freien Lauf gelassen. Damit wurde die Angelegenheit zur Fahndungssache.
    Ein einzelner Polizeibeamter hatte sich hingesetzt und Vermutungen angestellt. Seine erste Vermutung war, daß hier zwei Terroristen vom harten Kern der RAF erstens den Terroristenanschlag erwähnten, den sie soeben begangen hatten, das Bombenattentat in Hamburg, zweitens die Tatsache kommentierten, daß belgische Terroristen an der Aktion teilgenommen hatten, und drittens die Wahl zwischen neuen Terrorakten in Belgien oder Schweden erörterten, wobei die zweite Alternative viertens die Schwierigkeit aufwarf, daß man mit einem hinlänglich kompetenten schwedischen Terroristenkollegen Kontakt aufnehmen mußte.
    Das Ganze schien zunächst weit hergeholt, um nicht zu sagen völlig aus der Luft gegriffen zu sein. Es war dem Drogenfahnder aber offenbar gelungen, seinen Einfall so mitreißend darzulegen, daß er seinen Chef von der FD 6, einen Kriminaldirektor Soundso, dazu gebracht hatte, die Angelegenheit formell der Terrorismus-Abteilung beim BKA in Wiesbaden zu übergeben, und so war sie drei Tage nach der Aufzeichnung des Telefonats und fünf Tage nach dem Bombenattentat in Hamburg auf Dietmar Werths Schreibtisch gelandet.
    Dieser hatte die weitgehende Deutung des Telefongesprächs zunächst nicht einen Augenblick ernst genommen und es daher vorgezogen, diese Bagatellsache auf dem schnellsten Weg wieder loszuwerden. Die FD 6 hatte nämlich in erster Linie darum ersucht, das BKA möge prüfen, ob eine der Stimmen auf dem Tonband zu identifizieren sei.
    Folglich hatte Werth Abschrift und Tonband an die technische Abteilung geschickt, um dort eine Analyse vornehmen zu lassen. In der Bundesrepublik sind bei der Polizei 700 Personen als gesuchte Terroristen oder als Personen registriert, die im Verdacht stehen, Sympathisanten zu sein. Von rund 80 dieser Personen besitzt das BKA Tonbandaufzeichnungen, die in einem Tonarchiv gespeichert sind.
    Die
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