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Der demokratische Terrorist

Der demokratische Terrorist

Titel: Der demokratische Terrorist
Autoren: Jan Guillou
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für Inneres steht. Das erweckt den Eindruck, als handle es sich hier um irgendeine Unterabteilung der Innenbehörde. (Das Telefonbuch gibt jedoch darüber Auskunft, daß der Hamburger Verfassungsschutz unter dieser Adresse zu erreichen ist.) Daß er mit seiner schlichten, korrekten Kleidung, seinem untersetzten Körper und dem runden Kopf mit dem naßgekämmten Scheitel eher wie ein durchschnittlicher deutscher Wursthändler als wie ein Verfassungsschutz-Chef aussah, hatte keine Bedeutung und sollte auch keine Entschuldigung sein.
    Sein Bild war schon etliche Male in den Zeitungen erschienen, und er war sogar im Fernsehen aufgetreten. Er war ohne weiteres zu identifizieren. Jetzt stand er wie eine Zielscheibe vor dem Portal und überlegte, ob er die versprochene Menge französischen Wein, der seiner Ansicht nach nur etwas für Frauen war und nach Saft schmeckte, kaufen sollte oder nicht.
    Er zuckte die Achseln, nickte einer der geschickt verborgenen Überwachungskameras oben im Eingangsgewölbe zu und ging entschlossen, also ohne den Beaujolais Nouveau zu kaufen, an dem Wachtposten in seinem Glaskäfig vorbei und betrat einen der weißen Paternoster. Als Kind hatte er es geliebt, in solchen Fahrstühlen über das rote Warnschild hinauszufahren, in der Dunkelheit über den Scheitelpunkt hinweg und dann hinunter in den Keller und wieder hinauf ins Licht.
    Loge Hechts Selbstbewußtsein war nicht allzu knapp bemessen.
    Er war sich durchaus klar darüber, daß man ihn für einen der fähigsten Terroristenjäger der Bundesrepublik hielt. Andere Sicherheitsleute, die konventioneller dachten als er, neigten dazu, sich für erstrangige potentielle Terroristenopfer zu halten.
    Diese Kollegen würden nie mit der U-Bahn zur Arbeit fahren, niemals wie eine Zielscheibe mehrere Sekunden vor dem Eingang stillstehen, nie zu Fuß gehen, nie einem regelmäßigen Tagesschema folgen.
    Aber Der Hecht, wie er auch im Ausland genannt wurde, hatte eine wohl begründete Auffassung davon, was ihn auf einer hypothetischen Entführungs oder Mordliste von Terroristen so weit unten placierte, daß er wohl kaum unter den 200 interessantesten Opfern landen würde. Für ihn war das Ganze einfach und logisch. Für die Terroristen war die NATO der »Hauptfeind«. Sie hatten begonnen, in militärischen Begriffen zu denken, wollten den »Hauptfeind« treffen, so oft sie konnten, und das machte mehr als 2000 denkbare menschliche Ziele und militärische Einrichtungen der NATO weit interessanter als einen anderen Bürger der Bundesrepublik, selbst wenn er beim Verfassungsschutz arbeitete.
    Loge Hecht war vermutlich von den Bürgern der Bundesrepublik derjenige, der die reichhaltige Flora von Sympathisantenliteratur und Denkschriften des harten Kerns am ausgiebigsten und aufmerksamsten gelesen hatte; sicher auch genauer und vollständiger als jeder Terrorist. Aus dieser Lektüre hatte er eine sehr einfache Erfahrung gewonnen: Die Terroristen nahmen ernst, was sie schrieben. In der politischen Linken wurde mindestens genausoviel gelogen wie in der Politik überhaupt, aber davon durfte man bei Terroristen nicht ausgehen. Diese mußten sich immer erklären, vielleicht nicht mehr »den Massen«, wohl aber ihrem engeren Kreis von Sympathisanten.
    Daher meinten sie auch, was sie schrieben. Aus diesem Grund waren ihre Kommuniques Loge Hechts wichtigste Erkenntnisquelle. Er war sich seiner Sache sicher und kannte den Feind.
    Als er sein Büro im dritten Stock betrat, hatte sein engster Mitarbeiter, der auf die Minute genau wußte, wann Hecht erscheinen würde, gerade den Kaffee serviert. Siegfried Maack war Anfang dreißig, sah aber wegen seiner zunehmenden Kahlköpfigkeit und seiner randlosen Brille etwas älter aus.
    Die beiden Männer nickten einander kurz zu und machten sich sofort an die gewohnte morgendliche Routine. Die gestrige Eilanfrage des BKA in Wiesbaden war das wichtigste Gesprächsthema. Das BKA hatte vorgeschlagen, der Verfassungsschutz solle einige Fahndungshinweise übernehmen, um daraus »eine Operation mit besonderen Methoden« zu entwickeln, wie die etwas verkorkste Umschreibung des BKA lautete. Das BKA verlangte jedoch einen raschen Bescheid des Verfassungsschutzes, da es »für den Fall einer dortigen negativen Entscheidung« (also für den Fall, daß Hecht ablehnen sollte) ohne weitere Verzögerung selbst eine konventionelle Fahndung aufziehen müsse. Das BKA wollte sich in diesem Fall darauf beschränken, möglichst bald einen oder am
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