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Der Delta-Stern

Der Delta-Stern

Titel: Der Delta-Stern
Autoren: Joseph Wambaugh
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So saß er etwa eine Viertelstunde lang. Dann stand er auf, ging zu der beleuchteten Rednertribüne hinunter und fand den Schalter für den Motor, der die Tafeln bewegte. Die grünen Tafeln, die fast sechs Meter die Wand hoch reichten, setzten sich in Bewegung und veränderten ihre Positionen. Der Detective spielte eine Weile mit dem Schalter und beobachtete, wie die riesigen Tafeln in ihren Metallschienen nach oben und unten liefen.
    Dann nahm er ein Stückchen Kreide in die Hand und fing an, Formeln auf die Tafel zu schreiben. Es war fast neun Uhr, als er mit Schreiben fertig war und sich auf den Rückweg machte. Er schaltete das Licht aus, ging den Flur hinunter und kam an einem Büro vorbei, in dem ein Hausmeister saubermachte. Er blieb stehen, grinste den offensichtlich aus Lateinamerika stammenden Hausmeister kumpelhaft an, als gehöre er hier dazu, und schnappte sich das Telefon.
    Mrs. Fisher meldete sich und sagte: »Ja, er ist inzwischen zu Hause.« Dann hörte er, wie sie sagte: »Noah, da ist dieser Mann dran, der dauernd anruft.«
    »Ja«, sagte Noah Fisher, und seine Stimme klang so leblos wie die des Rausgeschossenen Sittencops.
    »Ich bin momentan im Noyes-Labor«, sagte Mario Villalobos, »im Hörsaal auf der Nordseite, im Parterre. Sie werden mich bestimmt finden.«
    Dann legte er den Hörer auf und ging zurück in den Hörsaal und rauchte und verbesserte seine Formeln und wartete.
    Es war fast halb zehn, als der Detective hörte, wie die Tür zum Hörsaal leise knarrend geöffnet wurde. Er stand auf der erleuchteten Rednertribüne und gab sich keine große Mühe, durch die Dunkelheit im Saal zur obersten Sitzreihe hinaufzuspähen.
    Er konnte schemenhaft die Gestalt sehen, die zur obersten Reihe hochstieg und sich dort hinsetzte. So ruhig wie im Moment hatte sich Mario Villalobos in den letzten beiden Tagen nie gefühlt. Er trat die Zigarette auf dem Fußboden aus und kickte sie weg. Plötzlich fiel ihm ein, daß er seit annähernd achtundvierzig Stunden keinen Schluck Alkohol getrunken hatte, zweifellos ein erstaunlicher Rekord.
    Er nahm den Zeigestock zur Hand, der so lang war wie eine Tiefseeangelrute, und deutete auf die Formeln, die er auf die Wandtafel geschrieben hatte. Dabei stand der Detective mitten im grellen Licht und sah in die Dunkelheit.
    Er sagte: »Ich bin Sergeant Mario Villalobos vom Los Angeles Police Department.«
    Nachdem er sich vorgestellt hatte, marschierte der Detective auf der Rednertribüne hin und her und schaute sich seine Formeln an. Er sagte: »Die ganze Woche über war ich ziemlich aus dem Gleichgewicht, weil ich's nicht auf eine Formel bringen konnte.«
    Er betätigte den Schalter, und die oberste Tafel senkte sich bis in Reichweite seines Zeigestocks.
    »Ich unterstelle mal, daß Sie zuerst ganz schön sauer waren, als da letztes Jahr dieses russische U-Boot auf Grund lief«, sagte Mario Villalobos. »Ich unterstelle aber genauso, daß die Schweden vor lauter Angst die Hosen gestrichen voll hatten, als der russische Captain sich mit der flachen Hand über die Kehle fuhr und sie sich fragen mußten, ob er mit dieser eindeutigen Halsabschneidergeste sich selber meinte oder sie. Ich unterstelle, Sie haben dann ne Menge Gerüchte darüber gehört, daß dem schwedischen Komitee im nächsten Jahr von den eigenen Politikern die Daumenschrauben angezogen werden sollten. Um den Russen was zu schenken, was sie todsicher lieber haben würden als fünfzig Goldmedaillen bei den Olympischen Spielen. Und das alles ja auch noch genau in der Zeit, in der sie ganz Skandinavien zu überreden versuchten, sich gemeinsam zur atomwaffenfreien Zone zusammenzuschließen. Ich unterstelle auch, Sie haben sich dann ausgerechnet, daß, wenn jemals ein russischer Chemiker wie Anatolij Roslow eine Chance hätte, er sie genau jetzt hätte! Aber wahrscheinlich sind Sie gleichzeitig auch ganz schön nervös geworden, weil Roslow schon sehr alt und krank ist. Und an Tote verleiht man den Preis ja nicht. Wahrscheinlich haben Sie sich deshalb gesagt, besser war's jetzt, 1982.
    Ich wette, Sie haben sich gesagt, daß Roslow mindestens ne Fifty-fifty-Chance hätte, wenn ihn ein einflußreiches Mitglied vom Chemiekomitee in Stockholm ernsthaft unterstützen würde. Was Sie dann ausgeheckt haben, war schließlich nicht schlimmer als das, was auch Staaten und Regierungen tun. Auch die versuchen ja schließlich, Druck auszuüben und das Komitee zu bestechen, nicht wahr? Genauso und nicht anders fing's dann
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