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Der Delta-Stern

Der Delta-Stern

Titel: Der Delta-Stern
Autoren: Joseph Wambaugh
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Notiz.
    Der Detective schätzte ihn auf Anfang Fünfzig und konnte sich selbst offenbar sehr glücklich schätzen, daß der Wissenschaftler keine bessere Möglichkeit gehabt hatte, einen Detective, der völlig von der Rolle war, zu überwältigen und ihm dann diese Spritze mit Natriumcyanid direkt dahin zu verpassen, wo das Leben saß. Der Detective konnte erkennen, daß der Mann die Absicht hatte, mit den beiden Frauen in Trainingsanzügen noch weiter zu joggen. Als er zum zweiten Mal an der Tribüne vorbeilief, sah der Detective sehr deutlich die Abschürfungen an seiner linken Faust, und er schrie: »Hey, Dr. Fisher! Ich bin 'n Freund von Lester Beemer!«
    Die beiden Frauen lächelten zu Mario Villalobos hoch, und dann sahen sie Noah Fisher an und warteten auf seine Reaktion. Er verlangsamte sein Joggingtempo und starrte den Detective da oben total fassungslos an.
    Der Detective lächelte grimmig und setzte sich erst einmal wieder hin.
    Bei der nächsten Runde um die Bahn hatte Noah Fisher offensichtlich größere Atmungsschwierigkeiten, als eigentlich zu erwarten gewesen wäre. Er winkte die Frauen vorbei und blieb stehen. Er stemmte die Hände in die Hüften und sah den Mann oben auf der Tribüne an wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt. Dann joggte er weiter, und sein Gesicht war totenblaß, als er allein an der Tribüne vorbeilief.
    »Ich möcht mal mit Ihnen über meine Freundin Missy Moonbeam reden!« sagte Mario Villalobos.
    Noah Fisher starrte den Mann auf der Tribüne mit weit offenem Mund an und sah aus, als habe es ihm ein für allemal die Sprache verschlagen. Dann setzte er seinen Lauf fort. Er beschleunigte sein Tempo. Er begann zu sprinten, als könne er diesem Gespenst auf der Tribüne davonlaufen. Er überholte jeden auf der Aschenbahn.
    Als er auf der gegenüberliegenden Seite der Bahn angekommen war, blieb er stehen und stützte sich mit den Händen schwer auf die Knie, bis er wieder Luft kriegte. Dann starrte er quer über den Sportplatz zu dem Mann auf der Tribüne hinüber. Er drehte sich um und lief auf die Umkleideräume der Sporthalle zu. Als er fast an der Tür war, drehte er sich abermals um.
    Mario Villalobos war aufgestanden. Er war ganz nach unten gegangen, in die ersten Tribünenreihen. Er hielt seine Hände trichterförmig vor den Mund und schrie: »Ich ruf Sie zu Hause an!«
    Noah Fisher drehte sich um und ging in den Umkleideraum, ohne auch nur noch ein einziges Wort von sich zu geben.
    Der Detective rief an diesem Nachmittag zweimal bei Professor Noah Fisher an. Beide Male teilte die Frau des Chemikers, die allmählich unruhig wurde, Mario Villalobos mit, daß ihr Mann immer noch nicht vom Training zurückgekehrt sei und sie sich Sorgen mache.
    Er ging nochmals in die Millikan-Bibliothek, sah, daß noch derselbe Student Aufsicht hatte, und verbrachte Stunden damit, Journale, Magazine und Zeitungen nach biographischen Details zu durchstöbern. Er las, daß Anatolij Roslow siebenundsiebzig Jahre alt war und an einer schweren Erkrankung litt, was bisher geheimgehalten worden war. Er erfuhr aus einer Zeitungsreportage, daß Noah Fisher drei stattliche Söhne und eine sehr begabte Tochter hatte, die an der University of California in Berkeley studierte. Und natürlich las er auch noch mehr über den Nobelpreis selbst.
    Gegen Einbruch der Dämmerung wanderte Mario Villalobos um den fast menschenleeren Caltech-Campus. Er stand vor dem Laborgebäude, in dem Ignacio Mendoza sein Büro hatte, und sah, daß dort immer noch Chemiker kamen und gingen. Mario Villalobos überlegte, ob er nochmals bei Noah Fisher anrufen sollte, aber als er entdeckte, daß sie die Tür nicht abgeschlossen hatten, ging er statt dessen, einem plötzlichen Impuls folgend, in das Gebäude.
    Er wanderte ziellos durch die Korridore und hörte Stimmen aus einem der chemischen Labors, in dem ein halbes Dutzend junger Männer und Frauen Seite an Seite mit einem älteren Mann arbeiteten, der offenbar der Leiter dieser Forschungsgruppe war. Er ging weiter den verlassenen Korridor hinunter, ohne jede Eile, und befand sich schließlich in der Nähe des Hörsaals, in dem Ignacio Mendoza ihm zum ersten Mal was über den Delta-Delta-Stern-Zustand erzählt hatte.
    Der Detective betrat den inzwischen dunklen Hörsaal und zündete ein Streichholz an, um die Lichtschalter zu finden. Er schaltete das Licht auf der Rednertribüne ein, setzte sich in die oberste Sitzreihe und schaute auf die beleuchtete Rednertribüne hinunter.
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