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Der Delta-Stern

Der Delta-Stern

Titel: Der Delta-Stern
Autoren: Joseph Wambaugh
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gelegt, und hatte in der Ecke, wo sich das Loch befand, den Filz bereits total vollgesabbert.
    »Hey! Schaff den verdammten Hund vom Tisch!« sagte Stanley zu Hans, der heftig mit seinem Groupie schäkerte, sich sorgenvoll fragte, ob es auch ohne Schellack klappen würde, und durch das Gebrabbel der beiden Scharfmacher sowieso ziemlich gereizt war.
    »Schaff du ihn doch runter«, sagte Hans.
    »Runter von dem Tisch, du Arschloch, verflucht noch mal!« sagte Leech zu Ludwig und knallte heftig mit seinem Queue auf den Tisch.
    Diesmal erhob sich Ludwig nicht mit Gebrüll. Er hob kaum den Kopf. Aber im Gegensatz zu allen Behauptungen, Tiere würden direkte Blickkontakte vermeiden, starrte dieses Tier dem jungen Scharfmacher direkt in die Augen. Ludwigs riesengroße Ziegenaugen waren bernsteingelb, und das Weiße in ihnen war durch den Qualm im Saloon und das Bier, das er geschlabbert hatte, rotgeädert. Es erhob sich weder ein Gebrüll, noch hörte man auch nur einen schnelleren Atemzug. Statt dessen hörte man ein Urgrollen, das aus der Gegend der Teergruben von La Brea zu stammen schien, wo die Säbelzahntiger aus grauer Vorzeit begraben liegen. Und außer Hans, Leery und dem Rausgeschossenen Sittencop griffen alle menschlichen Wesen in dieser Bar langsam und unauffällig nach einer Kanone.
    Leech unterbrach den Augenkontakt mit dem Hund nicht für den Bruchteil einer Sekunde, als er, unheimlich vorsichtig, sein Queue gegen die Mauer lehnte. Er unterbrach den Augenkontakt auch nicht, als er sehr, sehr langsam rückwärts aus der Nähe des Poolbillardtisches in den großen Barraum ging. Letztlich unterbrach er den Augenkontakt selbst dann nicht, als er bei Leery bezahlte und sagte: »Komm, Stanley. Solange sie in dieser Kneipe weiterhin Tiere zulassen, werden wir einfach woanders saufen.«
    »Nicht so hastig, Jungs!« rief Leery beunruhigt, als die jungen Scharfmacher zur Tür gingen. »Kommt mal her! Ihr könnt da hinten an der Bar so viel saufen, wie ihr wollt!« Dann wandte er sich an den K-9-Cop und sagte: »Verdammter Mist, Hans, Ludwig ruiniert mir hier noch den ganzen Laden! Schaff diesen blöden Köter vom Pooltisch!«
    Aber Hans, wieder mal halb blau, kicherte bloß und trank sein Bier aus und flüsterte seinem Groupie irgendwelche Sauereien ins Ohr.
    Dann gab der Rausgeschossene Sittencop zum erstenmal ungefragt eine Bemerkung von sich. Er sagte: »Da gibt's doch eigentlich bloß die eine Schlußfolgerung: Erstens, die Menschen sind der letzte Abschaum. Zweitens, ich bin ein Mensch. Drittens, was bin ich?«
    Der Rausgeschossene Sittencop sah sich in der Bar um, und im Moment hatte keiner eine Antwort parat.
    Der Schreckliche Tscheche redete als erster. Er sagte zu dem Rausgeschossenen Sittencop: »Ich hasse diese beiden Großschnauzen und Scharfmacher wie die Pest. Hättste nicht Lust, uns mal 'n bißchen näher kennenzulernen?«
    Der Rausgeschossene Sittencop sagte: »Was machste, wenn du mit einem Mal ne echte Scheißangst kriegst. Wenn du Tag für Tag deinen Job machst, und eines Tages kriegste plötzlich Angst? Ohne echten Grund?«
    »O ja, das kann ich verstehen«, sagte Mario Villalobos zu dem Rausgeschossenen Sittencop.
    »Hast du jemals 'n Kind gesehen, dem einer ins Gesicht geschossen hat?« fragte der Rausgeschossene Sittencop.
    Cecil Higgins sagte: »N Sechzehnjähriger rennt im Dunkeln plötzlich mit 'nem Messer rum? Ich finde, dafür kann dich ja nu echt keiner verantwortlich …«
    »Aber wenn er kein Messer gehabt hätte?« fragte der Rausgeschossene Sittencop. »Wenn da einfach bloß einer die Nerven verloren hätte? Wenn einer nur 'n bißchen Engelsstaub und 'n weggeschmissenes Messer hingelegt hätte, um alles zu vertuschen? Habt ihr jemals das verdammte Gefühl gehabt, daß euch jeder Herzschlag 'n Loch ins Herz reißt und das ganze Blut in euren Bauch strömt? Habt ihr jemals so ne Scheißangst gehabt?«
    Es kam jedoch niemand mehr dazu, eine Antwort zu formulieren. Der Rausgeschossene Sittencop warf einen letzten Blick auf sein Bild in den glitzernden Glasscherben. Auf sein Spiegelbild aus dunklen Schatten und gespenstischem Neongrün. Dann war er runter von seinem Hocker und schlich wie ein Sittencop auf Katzenpfoten in Richtung Tür.
    Er drehte sich nochmals kurz um und lächelte ihnen freundlich zu, und seine Augen waren wie Einschußlöcher.
    »Hey! Er hat seinen Drink noch nicht bezahlt!« sagte Leery. »Hey!«
    »Ich zahl seinen verdammten Drink!« sagte der Schreckliche Tscheche,
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