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Der David ist dem Goliath sein Tod

Der David ist dem Goliath sein Tod

Titel: Der David ist dem Goliath sein Tod
Autoren: Torsten Sträter
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durch.
    Es ist immer das Gleiche: Die Stadtteilbücherei einer Gemeinde, deren Bürgern man jetzt weniger nachsagen will, dass sie wie die Derwische Bücher entleihen, sondern eher auf Keine-Ahnung-VZ organisiert sind, bucht mich, und zwar für den Gegenwert einer Pfeffersalami. Es ist immer zu wenig Geld.
    Die ankündigenden Plakate macht der Verantwortliche selbst mit Paint, und diese sind dann nicht nur abstoßend wie die Hölle, sondern auch immer fehlerhaft. Zumeist steht da statt »Torsten Sträter« Torsten Streber, Torsten Sterber oder Dorstein Strecker, was mich insbesondere deswegen wütend macht, weil ich ja immerhin die Dorfjugend als Publikum haben könnte, wenn sie Thor Steinar hinschreiben würden.
    Als Programm steht unter meinem Namen immer irgendwas Totes, zum Beispiel »Liest aus seinem Werk«, was klingt, als wäre Rilke mein Praktikant gewesen.
    Folgerichtig finden sich in der abgedunkelten Bücherei fünf Leute ein.
    Ich sitze auf einem knarrenden Schemel, neben mir eine Flasche Staatlich Fachinger , die wahrscheinlich mit Leitungswasser befüllt ist, und lasse mich beim Blättersortieren beglotzen. Ich stelle mein Mikro ein und schaue in die Runde.
    Sie sind alle da: hinten das ältere Ehepaar – sie geschminkt wie eine antike Gottheit kurz vor der Beisetzung, er mit einem nervösen Leiden, das ihn zwingt während der Lesung vierzig Mal seine Brille abzunehmen, zusammenzuklappen, auseinanderzufummeln und wieder aufzusetzen, bis ich kurz davor bin, sie ihm wegzunehmen und draufzutreten.
    Seine Frau hat sonderbare Schluckbeschwerden. Ich sehe ihren Kehlkopf stumm im Halse herumpoltern, hui nach oben, hui zurück, und zwinge mich, nicht hinzusehen.
    Dazu dieses Make-up. 1 Womit hat sie das aufgetragen? Einer Tapezierquaste? Würde man ihr auf den Hinterkopf schlagen, träte man eine unfassbare Lawine beigefarbener Pampe los, die mir bis vor die Schuhspitzen schwappen würde.
    Das bereitet mir Unbehagen. Wenn die gleich mal niest, sieht’s hier drinnen aus wie in der Lackierstraße von Opel.
    Ganz rechts eine Einzelperson; ganz klar Fantasy-Fan; weiblich, Mitte zwanzig, kleines Gewichtsproblem, schwarze lange Haare, die aussehen wie mit der Axt gescheitelt.
    Sie ist mir die Liebste hier, auch wenn ihr T-Shirt, auf dem ein Wolf den Mond anheult, ein Sausen in meinem Verstand verursacht. Sie hat ein Buch dabei, um es sich signieren zu lassen, was ich später auch tun werde, obwohl ich es nicht geschrieben habe. Es ist ein Schmöker mit Elfen, Orks, Zwergen und so, im Titel steht irgendwas mit »Die Chroniken von Dingenskirchen« und auf dem Cover reckt eine Frau im Lederschlüpfer ein Schwert in die Höhe – ich schreibe später trotzdem rein, meist sowas wie »Weiter so, dein Vincent Raven« oder »Das Aufreißen der Packung verpflichtet zum Kauf«.
    Die guckt ohnehin erst zuhause rein.
    Direkt vor mir, sodass sich unsere Knie berühren, hockt ein weiteres Pärchen. Sie kennen keine Intimsphäre.
    Ich schätze sie auf Anfang dreißig. Meiner Ansicht nach sind das Swinger, die überall Hausverbot haben und sich deswegen auf Lesungen umgucken, ob da nicht irgendwer vollzupumpen oder leerzuorgeln ist. Ich werde meinen Verdacht in Kürze testen.
    Er steckt übrigens in einer Jeans mit Löchern, die er selbst hineingemacht hat, weil die Ränder kein bisschen ausgefranst sind, dazu ein Karohemd, das geradezu »Hau ruck, wir packen’s an!« brüllt, und ein Lederband um den Hals, an dem ein Delfin aus Metall baumelt.
    Seine Begleiterin trägt weiße Vinylstiefel und eine dieser Hosen, deren Farbe nicht zu bestimmen ist, aber am ehesten an ein fahles Orange erinnert, dem Senf beigemischt wurde, entweder durch eine komplexe Färbetechnik oder weil Senf beigemischt wurde.
    Auf ihrem Handgelenk ist ein Tattoo zu sehen: chinesisches Schriftzeichen, nicht ganz zuendegestochen, vielleicht aus Kostengründen, oder weil sie mittendrin ausgerufen hat: »Ach nö, ich möchte doch lieber so ’n verschmitzten kleinen Teufel auf die Titte!«
    Jedenfalls vermute ich, dass sie im Chinarestaurant unentwegt meckernd ausgelacht wird, weil das Zeichen in seinem fertigen Zustand das Symbol für GLÜCK gewesen wäre, im jetzigen Stadium allerdings KACKEN bedeutet. 2
    Der Büchereimann, der mich gebucht hat, tritt neben mich und moderiert mich an.
    Â»Sehr geehrte Damen und
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