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Der David ist dem Goliath sein Tod

Der David ist dem Goliath sein Tod

Titel: Der David ist dem Goliath sein Tod
Autoren: Torsten Sträter
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hätte, mit denen ich mich voraussichtlich schwertun werde.
    Und ich hocke da, bei ständig weiterlaufendem Lebenszeittaxameter, und sehe mir hochauflösende Blu-ray-Filme an, als ob mein menschliches Auge in der Lage wäre, den Unterschied zwischen hochauflösendem DVD-Material und ganz, ganz doll auflösendem Blu-ray-Zeugs zu erfassen. Ich sehe keinen Unterschied. Je älter ich werde, desto weniger Unterschied sehe ich überhaupt zu irgendwas.
    Ich werde nur penibler, trinke keinen Sekt mehr aus ausgespülten Senfgläsern und bevorzuge schnürsenkellose Slipper, weil ich mir schon ausreichend Senkel in Form von Zahnseide durchs Gesicht ziehe; zusammenfassend kann ich sagen, dass ich mir mittlerweile viele Dinge in die Haare schmiere, statt sie zu mir zu nehmen.
    Ich trinke keinen Kaffee mehr, benutze aber Koffeinshampoo, denn meine Haare auf dem Kopf fallen aus oder, wie ich eher glaube, werden nach innen gezogen, denn meine Nasenhaare werden immer länger.
    Vermutlich ist im Inneren meines Schädels ein komplizierter Knotenmechanismus am Werk, so ähnlich wie beim Strippenziehen auf der Kirmes, wo man links unten am Bändchen zerrt und oben rechts wird ein Pokemon hochgezogen, das die Kinder schon haben.
    Mein Leben findet die ganze Zeit statt, unentwegt, ohne Pause – nicht einmal Urlaub verschafft einem eine Lebensauszeit, sondern nur die Illusion des Innehaltens.
    Ich bin irgendwie erschöpft, und gleichzeitig total motiviert, aus meinem Leben was zu machen. Das Problem ist, dass es egal ist, was ich daraus mache, weil es sowieso weiterläuft.
    Es ist, als würde man einen Kuchen mit Liebesperlen dekorieren, obwohl er bereits im Ofen ist und vor sich hin backt, und man knallt noch mehr Dekozeugs und Zuckerkram drauf, und er backt und backt, und wenn man den Kuchen mittendrin rausnimmt, geht er kaputt, und wenn man untätig wartet und nichts tut, kommt halt nur ein blöder Kuchen dabei heraus.
    Also sitze ich vor einem 42 Zoll großen Fernseher und sehe Leuten bei einer Simulation des Lebens zu, oder vielmehr bei dem, wovon andere meinen, dass ich es für Leben halten sollte.
    Und ich zappe mich durch die Welt und bekomme ein exakt destilliertes Format an Informationen und passgenaue 42-Zoll-Ausschnitte mir unbekannter Existenzen, und ich denke, weil ich gerade ausreichend Muße und Raum zum Denken habe, dass ich poetisch ein Krüppel und lyrisch eine Null bin.
    Ich kann nur abbilden, und das schmucklos und schlicht, und wenn ich es hinkriege, ganz lustig, denn je älter ich werde, desto lustiger will ich sein, und ob das in einem ultimativen Poetry-Slam-Comedy-Gewitter endet oder einem Amoklauf bei Karstadt, werde ich dann ja sehen. Ich starre in die 42-Zoll-Kunstwelt und denke.
    Und ich denke, ob das wirklich so ist, dass die Gedanken frei sind, und vor allem denke ich, ob die Welt ein friedlicher Ort ist, weil niemand die Gedanken des anderen hört, und dieser Planet längst nicht mehr wäre als öde Steppe, wenn jeder sagen würde, was er denkt.
    Oder ob es gut wäre, jedermanns Gedanken zu hören, damit Denken an sich mal ein bisschen eleganter wird, so wie Autofahren, wo man sich auch besser ein bisschen bemühen sollte, damit man nicht gut sichtbar wie ein Idiot durch die Gegend eiert.
    Das denke ich, während ich in meine nach jetzigem Kenntnisstand völlig überteuerten 42 Zoll blicke, und dann donnert es.
    Ich stehe auf und gehe zum Fenster. Blicke hinaus.
    Â»Teufel, Teufel.«
    Unfähig den Blick abzuwenden öffne ich die Balkontür und trete hinaus.
    Der Himmel ist tiefschwarz, und das mitten am Tag; Donner grollt, und der Wind, den irgendwer mal als das himmlische Kind bezeichnet hat, der aber jetzt, in diesem Moment, eine dunkle, zornige Faust ist, zerrt an mir herum. Die Luft ist schwer, schmeckt wie nasse Watte, und dann entlädt sich ein angepisster Himmel – und die Show beginnt, ein gigantisches Event in 4-D, inklusive mächtiger Stroboskopeffekte. Dass Regen peitscht, ist ein schriftstellerisches Klischee – dachte ich zumindest, ebenso wie der blöde Spruch, dass einem das Blut in den Adern gefriert. Aber DER REGEN PEITSCHT, das ist weder unbeteiligt rieselndes Wasser noch der übliche vertikale Feuchtkram, sondern ein orgiastischer Guss, der mich völlig durchnässt, bis auf meine Bruno-Banani-Shorts aus dem Zweierpack, die ich immer im Verdacht hatte, genauso
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